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Mittwoch, 28. August 2013

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Die Europaabgeordnete Franziska Brantner (B'90/Die Grünen) will im September in den Bundestag einziehen - für den Wahlkreis Weinheim-Heidelberg

“Schon meine Schulzeit war europäisch geprägt.”

Franziska Brantner will im September für Bündnis ’90/Die Grünen in den Bundestag einziehen. Derzeit pendelt sie als Abgeordnete des Europäischen Parlaments zwischen Heidelberg, Brüssel und Straßburg und zieht ihre kleine Tochter groß. Chefredakteur Hardy Prothmann traf sie in Heidelberg.

 

Heidelberg/Rhein-Neckar, 02. April 2013. (red/pro) Die Europaabgeordnete Franziska Brantner hat gute Chancen, im September in den Bundestag gewählt zu werden. Sie ist Kandidatin von Bündnis ’90/Die Grünen im Wahlkreis Heidelberg/Weinheim – ein viel kleinerer Wahlkreis als ihr derzeitiger. In Berlin will sie gegen den Bahnlärm in Weinheim kämpfen und für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Auch mit der Eurokrise will sie sich auseinandersetzen und dabei noch viel Präsenz in ihren Wahlkreis zeigen.

Interview: Hardy Prothmann, Mitarbeit Lydia Dartsch

Frau Brantner, Sie sind Kandidatin von Bündnis ’90/Die Grünen für den Wahlkreis Heidelberg/Weinheim, wohnen aber im Moment in Tübingen – oder in Brüssel? Wo genau sind Sie jetzt eigentlich gemeldet?

Franziska Brantner (lacht): Gemeldet bin ich hier, also in Heidelberg. Die meiste Zeit verbringe ich aber in Brüssel. Da tagen wir nämlich manchmal gleich mehrere Wochen im Monat. Und ich will natürlich nicht zu den Mitgliedern gehören, die keine Präsenz zeigen.

Ihrem Vorgänger, Fritz Kuhn, wurde dagegen oft vorgeworfen, dass man ihn im eigenen Wahlkreis kaum zu sehen bekommen hat. Stimmt das? Sind solche Vorwürfe berechtigt? Und kann man da was gegen tun? Sie haben mit Herrn Lamers ja starke Konkurrenz. Der ist nämlich sehr präsent.

Brantner: Ich denke, dass man Herrn Kuhn da in Schutz nehmen muss. Er war immerhin zur gleichen Zeit auch Fraktionsvorsitzender, was eine immense zusätzliche Belastung darstellt. Es müssen also etwas andere Ansprüche gestellt werden, was die Präsenz vor Ort angeht.

Aber Präsenz vor Ort ist natürlich trotzdem wichtig…

Brantner: Ja, klar. Aber ich glaube auch, dass ich dafür, wie groß mein Zuständigkeitsbereich ist, relativ viel Zeit hier verbringe. Insgesamt gibt es nur 99 deutsche Abgeordnete im Europaparlament. Es ist also klar, dass riesige Zuständigkeitsbereiche entstehen. Es sind gerade einmal vierzehn Grüne für sechzehn Bundesländer, ich bin also auch noch für Baden und die Pfalz zuständig.
Mein Schwerpunkt ist dabei natürlich eindeutig die Metropolregion. Aber so ist es eben nicht möglich, die gleiche Präsenz aufzubauen wie ein Bundestagsabgeordneter. Ich kann ja jetzt nicht einfach meinen Job liegen lassen und sagen, ich mache nur noch Wahlkampf. Trotzdem versuche ich, immer anwesend zu sein, wenn es hier eine Veranstaltung zu einem Thema gibt, das in Bezug auf Europa wichtig ist.

“Wir arbeiten an einer stärkeren demokratischen Legitimierung.”

Bleiben wir bei Europa und nähern uns dann langsam an die Region an. Es gibt ja ein Europa der Regionen? Was bedeutet das für uns? Einfach nur ein Schlagwort oder steckt da ernstzunehmende Politik dahinter?

Brantner: Bis jetzt haben wir dabei die Schwierigkeit, dass Fördergelder und Strukturfonds nicht von den Metropolregionen selbst beantragt werden können, sondern das alles über die Bundesländer läuft. Und die Zustimmung von allen zuständigen Ministerien kann auf sich warten lassen. Peter Simon und ich haben uns dafür eingesetzt, dass auch solche Strukturen Direktanträge stellen können.

Solche Verbände haben, in meinen Augen, ein ganz gravierendes demokratisches Defizit. Und wenn man solchen Verbänden Zugang verschafft, gründen sich woanders auch irgendwelche Verbände, die dann noch weniger demokratisch legitimiert sind.

Brantner: Bei dem demokratischen Defizit stimme ich ihnen absolut zu. Wir arbeiten gerade an einer stärkeren demokratischen Legitimierung, das sollte sich natürlich alles auf Basis von Wahlen zusammensetzen. Bis jetzt ist das, was da zusammenkommt, wirklich nicht besonders repräsentativ.

“Es ist traurig, dass der öffentliche Aufschrei über die Wasserprivatisierung erst jetzt kommt.”

Ein weiteres, brandaktuelles Thema ist die Privatisierung von Wasser. Haben Sie damit etwas zu tun?

Brantner: Hauptsächlich ist Heide Rühle bei den Grünen dafür zuständig. Aber wir haben als Gesamtfraktion dazu natürlich viel gemacht. Unter anderem eben schon letztes Jahr im Juni diese Bürgerinitiativenkampagne mit losgetreten. Das Gesetz wird nämlich schon seit Längerem beraten und verhandelt. Und es ist natürlich traurig, dass der öffentliche Aufschrei erst jetzt kommt, nachdem das Gesetz schon im Parlament im Ausschuss abgestimmt wurde. Wenn jetzt morgen noch einmal abgestimmt würde, wäre das Ergebnis vermutlich etwas anders.

Aber die Petition läuft weiter, oder?

Brantner: Genau. Das Problem dabei ist, dass von der Zahl her genügend Unterstützer gefunden worden sind, aber noch nicht genügend Länder das Quorum erfüllt haben.

Wie zufrieden sind Sie dabei mit dem grünen Denken in anderen europäischen Ländern, etwa Italien, Spanien und Frankreich? Ist es überhaupt vorhanden?

Brantner: Doch, das gibt es schon. Wir haben auch in fünf von sieben Ländern das Quorum erreicht und insgesamt schon 1,2 Millionen Unterschriften gesammelt. In Spanien haben wir es auch fast geschafft und es geht ja noch bis zum Herbst. Also sind wir da zuversichtlich.

Und was ist mit dem siebten Land?

Brantner: Das ist wahrscheinlich Portugal. Es kann aber auch sein, dass wir noch versuchen, ein osteuropäisches Land dafür zu gewinnen.

Kein guter Deal!

Wer profitiert eigentlich davon, wenn Wasser privatisiert wird?

Brantner: Vor allem große Wasserkonzerne, wie zum Beispiel Veolia, aber auch einige große Stadtwerke.

Es wären also auch Profiteure hier im eigenen Land, die keine natürlichen Wachstumsmärkte mehr haben?

Brantner: Genau. Also man kann hier nicht nur sagen: “Das sind die „Heuschrecken“ aus dem Ausland.” Trotzdem bleibt die Frage offen, wer am Ende investieren muss. Wenn man sich einmal die anderen Beispiele für Privatisierung ansieht, sind die Erfahrungen meistens schlecht gewesen. Die Qualität sinkt meistens und die Preise steigen: Das ist kein guter Deal.

Es ist ja sehr wahrscheinlich, dass Sie in den Bundestag kommen. Sie haben jetzt die letzten Jahre europäische Erfahrungen gesammelt. Ist schon klar, für welche Themenbereiche Sie zuständig sein werden?

Brantner: Auf jeden Fall will ich mich weiter mit Europa und dabei insbesondere mit der Eurokrise befassen. Ich will mich auch weiter für Frauenrechte einsetzen.

Gegen Bahnlärm in Weinheim

Was Sie ansprechen, sind sehr wichtige und sehr große Themen. Aber wie viel Zeit wird dabei noch bleiben, sich mit dem eigenen Wahlkreis zu befassen und die Themen, die hier drängen mit nach Berlin zu nehmen? Können sie sich auch vorstellen, sich beispielsweise mit einem Herrn Lamers (CDU) zusammenzusetzen und Themen wie den Lärm in Weinheim anzugehen?

Brantner: Natürlich. Gerade mit Herrn Lamers arbeite ich schon länger zusammen, bei allem was mit der Konversion zu tun hat. Das ist also nichts, was ich neu anfangen würde, sondern etwas, das ich schon jetzt tue. Zum Lärm: Hier kämpfe ich gerade im europäischen Parlament dafür, dass die Kürzungen der Gelder zur Reduzierung von Bahnlärm rückgängig gemacht werden. Das haben die 27 Regierungen nämlich vor. Im Bundestag werde ich mich ebenso einsetzen für zukünftige Gelder für nachhaltige Mobilität in unserer Region, also zum Beispiel für den weiteren Ausbau der S-Bahn. Außerdem möchte ich dafür kämpfen, dass die Kommunen bei der Finanzierung der Betreuung unserer Kleinen entlastet werden und der Bund sich dort wesentlich stärker finanziell beteiligt. Das gäbe wieder mehr Spielraum für die Kommunen!

Wie viel haben Sie mit Bildungspolitik zu tun?

Brantner: Womit ich mich intensiv befasst habe, sind die Bologna-Reformen und die Umstellung auf Bachelor und Master. Da ist auch immer noch viel zu verbessern. Ich bin jetzt keine Hochschulpolitikerin im eigentlichen Sinn. Aber mit den Themen an sich und ihrer Bedeutung habe ich mich natürlich viel im Europaparlament befasst und im Haushaltsausschuss die Gelder erhöht – oder besser gesagt: Versucht, sie zu erhöhen, so gut das eben ging. Und ich denke, dass gerade heute die Frage bedeutend ist, inwieweit man diesem Drang „Alles muss verwertbar für den Arbeitsmarkt sein“ nicht nachgeben muss. Wenn ich mir anschaue, wie viel Stress die Bachelorstudenten haben und wie dabei kaum noch Zeit für andere Dinge bleibt und die Leute de facto seltener ins Ausland gehen, wurde das Ziel doch irgendwie verfehlt.

“Jeder soll die Möglichkeit zur individuellen Förderung haben.”

Ein umstrittenes Thema sind ja gerade hier in Baden-Württemberg die Gemeinschaftsschulen. Wie ist das in anderen europäischen Staaten? Haben Sie damit Erfahrung gemacht?

Brantner: Schon nach vier Jahren zu trennen, ist eher die Ausnahme: In den meisten europäischen Ländern wird wesentlich länger zusammen gelernt. Manche bis zum Schulende. Andere hören früher auf. Häufig sind gerade das die Länder, die in vergleichenden Studien besser abschneiden.

Andererseits gibt es aber auch Fälle wie Frankreich. Nach dem, was ich mitbekomme, sind die sozialen Konflikte dort zum Teil alles andere als unerheblich.

Brantner: Ja, das mag stimmen. Wobei ich denke, dass das auch stark von der jeweiligen Region abhängt. Es macht einen Unterschied, ob man in der Pariser Innenstadt oder in der Banlieu zur Schule geht. Außerdem arbeitet die Regierung unter Hollande gerade daran, diese Strukturen aufzubrechen und zu anderen Lernansätzen und Methoden zu kommen. Aber sie wollen nicht daran rütteln, dass die Kinder zusammen sind. Das große Problem in Frankreich ist, dass dort alle Schüler über einen Kamm geschoren werden. Das wollen wir hier ja nicht. Jeder soll die Möglichkeit zur individuellen Förderung haben.

Wie war das denn bei Ihnen? Wie sah Ihre Schulzeit aus?

Brantner: Ich bin neun Jahre lang auf ein Deutsch-Französisches Gymnasium gegangen. Von daher war meine Schulzeit schon europäisch geprägt. Später habe ich dann in Mannheim promoviert. Deswegen bin ich auch nach Heidelberg gekommen. Das hat sich dann angeboten – zumal ich auch noch Verwandte hier in der Region hatte.

Wenn Sie mal die Städte vergleichen, Berlin, Brüssel Heidelberg, was ist komplett unterschiedlich und wo gibt es Gemeinsamkeiten?

Brantner: Heidelberg ist schön (lacht).Hier kann man mit dem Kinderwagen auf dem Gehweg laufen. Und irgendwie sind hier die Leute noch freundlicher miteinander. Es kommt schon mal vor, dass man mit Fremden ins Gespräch kommt. Das ist in Berlin leider eher selten.

“Man muss vorausplanen und extrem flexibel sein.”

Wenn Sie so oft reisen, wie machen Sie das mit ihrer Tochter? Lebt die in Brüssel?

Brantner: Genau. Dort gibt es auch eine Parlamentskita. Und wenn ich länger als einen Tag weg bin, nehme ich sie auch mit. Bis sie in die Schule kommt, ist das ja zum Glück noch nicht so kompliziert.

Und wie lässt es sich leben, wenn man ständig zwischen drei Städten pendelt?

Brantner: Man muss Ewigkeiten vorausplanen und dann extrem flexibel sein (lacht). Das war mir aber von Anfang an klar. Ich liebe Kinder über alles und ich glaube nicht, dass es ein Patentrezept zum Erziehen gibt, dass es also so viel bessere Kinder werden, wenn man zwei, drei Jahre lang zuhause bleibt und sich nur allein um sie kümmert. Wenn man sich selbst um sein Kind kümmern will, ist das natürlich schön. Es sollte aber eine freie Entscheidung sein und nicht einfach, weil es keine Alternativen gibt und es an Betreuung mangelt.

Wie sieht es denn mit dem Thema erneuerbare Energien aus? Was kann man aus der Region herausholen?

Brantner: Ich bin da eher undogmatisch. Die Windenergie hat sich in den letzten Jahren stark verbessert, was Effizienz angeht. Aber ich finde, man sollte gucken, was sich anbietet und was die Bürger wollen. Niemand sollte da zu etwas gezwungen werden. Da können wir zum Beispiel etwas von Rheinland-Pfalz lernen. Die haben ihre Konversionsflächen in Energieparks verwandelt: Da wird sowohl Wind- als auch Solarenergie erzeugt. Und das stört niemanden.

“Politiker können sich nicht mehr abschotten.”

Stichwort Bürgerbeteiligung: Wenn Sie Bundestagsabgeordnete sind, wie oft sind Sie dann hier vor Ort in Ihrem Büro? Und kann man Sie per Mail oder über Facebook und Twitter erreichen?

Brantner: Bei Twitter kann man mir unter fbrantner folgen und auf Facebook bin ich auch viel unterwegs.

Und machen Sie das alles selbst? Oder bekommen Sie da Unterstützung?

Brantner: Ich mache da fast alles selbst. Es kann mal sein, dass jemand ein Foto für mich hochlädt. Aber alle Texte schreibe ich. Bei Twitter wird man natürlich eher selten direkt kontaktiert. Aber auf Facebook werden mir recht häufig Fragen gestellt. Und wenn es nichts Verleumderisches ist oder offensichtlich nicht ernst Gemeintes, dann antworte ich auch immer. Man kann auch einen Termin für eine Sprechstunde per Skype ausmachen. Damit habe ich bis jetzt auch sehr gute Erfahrungen gemacht. Und als Bundestagsabgeordnete werde ich natürlich auch „normale“ Sprechstunden haben.

Wir sind vorhin schon auf die Bürgerbewegung gegen die Privatisierung eingegangen. Jetzt ist die Kommunikation durch das Internet ja erheblich leichter geworden. Wie wird Ihrer Einschätzung nach Bürgerbeteiligung die Politik in den nächsten Jahren verändern?

Brantner: Ich denke, wir befinden uns gerade in einer Phase, in der Bürgerbeteiligung besonders wichtig ist. Politiker können sich nicht mehr abschotten, planen und dann vom Volk verlangen, zuzustimmen. Wir haben weniger Gelder zur Verfügung und brauchen kreative Lösungen. Und die kommen nur, wenn man die Bürger mit einbezieht. Wir können uns gar nicht mehr leisten, diese alte Politik weiter zu fahren.

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