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Dienstag, 27. August 2013

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Geprothmannt: Vom Lobbyismus zum Leistungsschutzrecht

“Die Mehrheit im Bundestag sind Internet-Doof-Finder”

 

Rhein-Neckar/Berlin, 04. März 2013. (red/pro) Am Freitag hat eine Mehrheit im Bundestag dem “Leistungschutzrecht für Presseverlage” zugestimmt. Das Gesetz soll angeblich die “Leistungen” von Verlagen schützen – so dürfen nur noch “einzelne Worte” oder “kleinste Textauszüge” von Verlagsinhalten kostenfrei angezeigt werden – alles andere muss bezahlt werden. Was “kleinste Textauszüge” genau heißt, ist offen und muss im Zweifel vor Gericht geklärt werden. Droht eine neue Abmahnwelle – provoziert durch die Verlegerlobby? Für die grüne Medienexpertin Tabea Rößner steht jetzt schon fest: “Dieses Gesetz ist der größte Schwachsinn aller Zeiten.”

Von Hardy Prothmann

Die Grünen-Politikerin Tabea Rößner wird zum neuen Gesetz so zitiert:

Dieses Gesetz ist der größte Schwachsinn aller Zeiten.

Verantwortlich für dieses Gesetz ist die Bundesregierung. Und die Lobby der Zeitungsverleger, allen voran der Axel-Springer-Verlag, dessen Chef-Lobbyist Christoph Keese alle Energie in dieses Leistungsschutzrecht gesteckt hat. Ursprünglich wurde es “Lex Google” genannt, weil die Verlage beklagten, Google bereichere sich an ihren Inhalten, indem die Suchmaschine so genannte “Snipets”, also Textschnipsel anzeige, die dem Suchmaschinenbenutzer einen Hinweis auf den Inhalt des nach einer Suche angezeigten Links geben.

Verlogene Argumentation

Aus Sicht der Verleger ist das “Diebstahl”. Kurios: Kein Verlag muss sich den angeblichen Diebstahl gefallen lassen, mit einer kurze Codezeile wird ein Internetangebot für Google unsichtbar. Warum beschützen die Verlage ihr Eigentum also nicht? Weil sie von Google gefunden werden müssen, sonst gehen die Zugriffszahlen in den Keller.

Die Verlage argumentieren, Google und andere, die solche Snippets anzeigen, müssten trotzdem zahlen, schließlich hätten die Verlage ja für die Erstellung bezahlt. Genauso gut könnte Google argumentieren, die Verlage müssten an Google zahlen, denn schließlich hat Google in die Infrastruktur investiert.

Der Journalist und Blogger Mario Sixtus beschreibt die Logik der Verlagsargumentation so:

Mit der gleichen Logik könnte ein Restaurantbesitzer Geld von Taxifahrern verlangen, die ihm Gäste bringen.

Gegen das “7. Änderungsgesetz zum Urheberrecht” sind so ziemlich alle, die was vom Internet verstehen. Ob Max-Planck-Institut, der Bundesverband der deutschen Indrustrie oder der Deutsche Anwaltsverein – sie alle lehnen das Gesetz ab. Im Bundestag stimmte nun eine Mehrheit von 293 Abgeordneten von CDU, CSU und FDP für das Gesetz, 243 stimmten dagegen, drei enthielten sich (wer wie abgestimmt hat, sehen Sie hier bei Spiegel Online). Mario Sixtus charakterisiert die Zustimmer so:

Die größte Mehrheit im Bundestag bilden die Internet-Doof-Finder.

Und es gibt jede Menge Experten, die diese Zustimmer für doof halten. Denn die Konsequenzen dieses “verunglückten” Gesetzes sind vollständig unklar. Viele befürchten eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Abmahnanwälte, da nicht geklärt ist, was lizenzfrei und was lizenzpflichtig ist. Viele junge Internetunternehmen, die innovativ Ressourcen “aggregieren”, stehen eventuell vor dem Ruin. Alle Internetnutzer müssen Nachteile befürchten, weil der Informationszugang nun wegen der rechtlichen Unsicherheit erschwert wird. Dieses Gesetz verhindert also nicht nur Innovationen, sondern schadet der Informationsgesellschaft insgesamt.

Verlage bedienen sich wie niemand sonst an “kostenlosem” Inhalt

Und es birgt kuriose Absurditäten in sich: Wenn Zeitungen Pressemitteilungen 1:1 wiedergeben, verleiben sich die Zeitungen diese Texte ein und machen sie zu einer “Verlagsleistung” und wollen dafür Geld, wenn jemand mehr als nur “kleinste Textauszüge” davon als Ausschnitt anzeigt. Aus Sicht der Verlage ist das natürlich kein “Bedienen am geistigen Eigentum anderer”, sondern eine Selbstverständlichkeit. Kostenloser Inhalt, wie er täglich zuhauf in den Zeitungen steht. Beim Mannheimer Morgen ab und an erkennbar am Kürzel “zg”, das steht für “zugeschickt”.

Über das Leistungsschutzrecht wurde intensiv berichtet, wie Zeitungen das getan haben, beschreibt der Medienjournalist Stefan Niggemeier so:

Das Wett­ren­nen um die ver­lo­genste, ein­sei­tigste, fal­scheste und irrste Bericht­er­stat­tung in der deut­schen Presse über das Leis­tungs­schutz­recht ist noch im vol­len Gang.

Übersetzt heißt das: Die Verlage, die von sich behaupten, eine Stütze der Demokratie zu sein und “Qualitätsjournalismus” zu liefern, also die Wahrheit zu berichten, lügen und führen in die Irre. Als Beispiel nennt Niggemeier einen Kommentar im Mannheimer Morgen an. Dort stand am 30. November 2012:

Der amerikanische Internetriese sammelt Texte ohne Rücksicht auf Urheber- und Verlagsrechte in speziellen Nachrichtenportalen.

Dieser Satz ist bislang falsch und irreführend. Was Google macht, ist bislang erlaubt – das neue Leistungsschutzrecht für Presseverlage könnte das allerdings ändern. Ebenfalls “irreführend” ist die Bezeichnung des Autors als “Von unserem Korrespondenten Rudi Wais”. Das suggeriert, dass Herr Wais ein Angestellter des Mannheimer Morgens ist, als “unser Korrespondent” nach Berlin entsandt. Tatsächlich ist Herr Wais Mitglied einer “Pool-Redaktion”, also eines Journalistenbüros, das für viele Zeitungen schreibt. Beispielsweise am 28. Februar 2013:

Reicht der lange Arm von Google schon bis in die deutsche Politik?

Den langen Arm der Zeitungsverleger verschweigt der Autor. Ebenso die bundesweite Kritik durch mehr oder weniger alle einschlägigen Experten, ebenso die Erkenntnis, das ganze Teile des Gesetzentwurfs verfassungswidrig waren und jetzt nur noch ein ziemliches Durcheinander übrig ist, dessen Sinn nicht der Schutz des geistigen Eigentums ist – das wird nämlich schon ausreichend gesetzlich geschützt – sondern der Branche der Zeitungsverleger durch den Gesetzgeber neue Einnahmen bringen soll, da man hier bislang zu “blöd” war, selbst neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Last Exit Vermittlungsausschuss

Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen, hat sich intensiv mit dem Gesetz auseinandergesetzt und sagt unumwunden:

Dieses Gesetz ist der größte Schwachsinn aller Zeiten.

Sie kritisiert das Tohuwabohu konkret:

Wenn mich beispielsweise eine Zeitung in einer Überschrift zitiert, gehört dieses Zitat dann der Zeitung und ist es für niemanden anderen mehr kostenfrei nutzbar? Hier droht eine Monopolisierung von Sprache und Gedanken.

Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, nimmt kein Blatt vor den Mund: “Das Gesetz ist der größte Schwachsinn aller Zeiten.”

Für die frühere Journalist ist klar: Dieses Gesetz schadet der Meinungsfreiheit und behindert kleine publizistische Einheiten, beispielsweise auch unsere Blogs. Im Zweifel können die großen Verlage jeden erstmal verklagen, dem sie vorwerfen, geschützte Leistungen zu verletzen. Die wenigsten kleineren Anbieter werden sich kostenintensiven Prozessen stellen können – damit wird Meinungsvielfalt eingeschränkt. Auch das könnte ein Ziel der Zeitungen sein – ausschließlich die über sie verbreiteten Meinungen zu schützen. Die Bundesregierung ist williger Gehilfe dabei.

Am 22. März geht das Gesetz in den Bundesrat. Die Verlagspresse hat sich auch hier wieder durch Fehlinformationen hervorgetan und den SPD-”Netzpolitiker” Lars Klingbeil zitiert, der ankündigte, die Bundesratsmehrheit würde das Gesetz verhindern und dagegen stimmen. Das mag er so gesagt haben – es bleibt aber Unfug, da das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist. Der Bundesrat kann beschließen, den Vermittlungsausschuss “anzurufen”. Die 16 Bundestagsabgeordneten in diesem Ausschuss können beliebig lange über das Gesetz verhandeln, wenn der Ausschuss allerdings drei Mal eine Vermittlung als gescheitert feststellte, wäre das Gesetz gescheitert.

 

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