Brüssel/Straßburg/Rhein-Neckar, 06. Juni 2013. (red/ld) 27 Staaten gehören mittlerweile der Europäischen Union (EU) an. Im Herbst diesen Jahres werden es 28 sein. Dann tritt auch Kroatien bei. In der Diskussion um die Lösung der Finanzkrise stört manche Menschen, dass vor allem Deutschland für die Rettung Griechenlands und Spaniens viel Geld bezahlt. Manche fordern den Austritt aus der EU. Was in Brüssel und Straßburg entschieden wird, scheint weit, weit weg. Doch es geht die Menschen in der Region mehr an, als viele denken. Straßburg und Brüssel sind näher als Berlin.
Von Lydia Dartsch
Ist das nicht herrlich? Urlaub, ohne den Reisepass verlängern oder Geld wechseln zu müssen. Das Schengen-Abkommen und die Währungsunion der EU-Staaten machen’s möglich. Es reicht der Personalausweis. Das macht das Reisen angenehm. Doch es gibt auch umstrittene Maßnahmen, die in Brüssel und Straßburg verabschiedet werden, wie die Privatisierung der Wasserversorgung.
Seit der Gründung der EU, am 01. November 1993, beeinflussen die EU-Institutionen – Kommission, Rat der EU und das Europäische Parlament – zunehmend das Leben. Denn was in Brüssel und Straßburg beschlossen wird, muss in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Wie diese Gesetze zu Stande kommen, welche Rolle die EU-Institutionen dabei spielen und wie sie aufgebaut sind, ist im Vertrag über die Europäische Union festgelegt. Die aktuell gültige Fassung ist der Vertrag von Lissabon.
Die Europäische Kommission
Die Europäische Kommission oder auch EU-Kommission sitzt in Brüssel und entspricht der Regierung der EU. Ihr Präsident ist der ehemalige portugiesische Ministerpräsident José Manuel Baroso. Er führt die Kommission bereits in seiner zweiten Amtszeit. Zu diesem Amt wurde er gemeinsam von den Regierungen der Mitgliedsstaaten nominiert und vom Parlament bestätigt. Anschließend bestimmt der Kommissionspräsident die Kommissare. Die Kommission hat so viele Mitglieder wie die EU Mitgliedsstaaten hat: Also derzeit 27. Die Regierungen der Mitgliedsstaaten entsenden je einen Kommissar für eine Amtszeit von fünf Jahren, der vom Kommissionspräsidenten mit einem speziellen Thema betraut wird. Der deutsche Kommissar ist der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger. Sein Thema ist die Energiepolitik.
Um ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten, dürfen die Kommissare keine weitere Anstellung annehmen und kein weiteres Amt innehaben. Dafür gehören sie zu den Spitzenverdienern der EU-Beamten: Neben einem Grundgehalt von monatlich 20.278,23 Euro haben sie einen Anspruch auf eine Residenzzulage in Höhe von 15 Prozent ihres Grundgehalts sowie eine Aufwandsentschädigung von 607 Euro pro Monat. Ihr Grundgehalt wird zugunsten der Gemeinschaften versteuert. Dabei gibt es 14 Grenzsteuersätze, die von 8 bis zu 45 % reichen. Die Steuern fließen zurück in den EU-Haushalt. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt steht ihnen zudem ein Übergangsgeld zu sowie die Erstattung von Reise- und Umzugskosten. Ab ihrem 65. Geburtstag erhalten ehemalige Kommissare ein zu versteuerndes Ruhegehalt, das sich anhand ihrer Amtsdauer berechnet. Im Februar kam die Diskussion auf, ob das Gehalt für die EU-Kommissare und ihre Beamten ausreichend sei und löste damit große Empörung bei der Bevölkerung aus.
In der Kommission befassen sich 33 Generaldirektionen, 11 Dienststellen sowie die dort abgestellten Beamten mit der Vorbereitung von Gesetzesinitiativen. Zudem überwachen sie, ob die Mitgliedsstaaten die EU-Gesetze einhalten. Dabei führt jeder Kommissar eine Generaldirektion, außer in eher administrativen Bereichen wie Dolmetschen, Datenverarbeitung oder Kommunikation, die gemeinsame Forschungsstelle, das Generalsekretariat, Humanressourcen und Sicherheit sowie Kommunikation. Die Vorsitzenden dieser Abteilungen sind die Generaldirektoren.
Die Initiativen arbeiten die Generaldirektionen entsprechend dem Arbeitsprogramm der Kommission aus. Eine Bestandsaufnahme der bestehenden Gesetze wird vorgenommen und es wird geprüft, welche Folgen ein Gesetz haben könnte. Anschließend werden sogenannte Konsultationen mit Bürgern, Experten und Interessengruppen der Mitgliedsstaaten durchgeführt und ein Gesetzestext verfasst, der im Europäische Parlament und im Rat eingebracht wird.
Formal kann die Kommission von Mitgliedsstaaten und Interessenvertretungen sowie vom Rat mit der Ausarbeitung von Initiativen beauftragt werden. In der Regel behandelt die Kommission auch Anregungen aus dem Parlament. Dieses hat formal allerdings kein Initiativrecht, wie es der heutige Parlamentspräsident, Martin Schulz, im Jahr 2010 forderte.
Seit April 2012 können auch die Bürger mit der Europäischen Bürgerinitiative ihr Initiativrecht wahrnehmen. Die derzeit wohl bekannteste ist die Unterschriftensammlung gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Knapp 1,5 Millionen EU-Bürger sind ihr bisher beigetreten.
Mit diesem Instrument und der Tatsache, dass das Parlament die Mitglieder der Kommission ablehnen kann, wurde die EU ein Stück weit demokratischer. Die Kontrollmöglichkeit durch das Europäische Parlament sorgte 1999 dafür, dass die Kommission geschlossen zurücktrat, als bekannt wurde, dass die französische Kommissarin Édith Cresson in einen Korruptionsskandal verwickelt war. Die damalige Kommissarin für Forschung, Entwicklung und Wissenschaft hatte Freunde in ihrer Direktion angestellt. Beispielsweise hatte ihr Zahnarzt René Berthelot eine Anstellung als “Gastwissenschaftler” bei ihr erhalten.
In der darauf folgenden Übergangs-Kommission wurde Manuel Marin zum neuen Kommissionspräsidenten gewählt – der damalige Vizepräsidenten der Kommission. Als Mitglieder der Kommission der Übergangs-Kommission ernannte Manuel Marin aber wieder die gleichen Personen, wie unter der Kommission Santer. Sie amtierte nur sechs Monate bis zur vorgesehenen Neubesetzung der Kommission im September 1999. Es war die kürzeste Amtszeit für eine Kommission.
Um Korruption in den EU-Institutionen besser zu verhindern und aufzudecken, wurde im gleichen Jahr das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) gegründet. Nach eigenen Angaben hat es seit seiner Gründung in 3.500 Fällen ermittelt. Dadurch seien 1,1 Milliarden Euro in den EU-Haushalt zurückgeflossen. Außerdem habe es Haftstrafen von insgesamt 900 Jahren gegen 335 Täter erwirkt.
Die Kommission kontrolliert auch, ob die Mitgliedsstaaten die Gesetze auf nationaler Ebene umsetzen. Werden sie nicht umgesetzt, kann die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Dabei prüft es, ob Mitgliedsstaaten die EU-Gesetze in der nationalen Gesetzgebung umgesetzt haben oder gegen das EU-Recht verstoßen. Dann beginnt ein mehrstufiges Verfahren, in dem zuerst der betreffende Mitgliedsstaat darauf hingewiesen wird. Dieser hat dann die Möglichkeit, freiwillig zu handeln. Andernfalls setzt ihm die Kommission eine Frist und ruft im letzten Schritt den Europäischen Gerichtshof an.
Der Rat der Europäischen Union
Der Rat der EU in Brüssel ist nicht zu verwechseln mit dem Europarat oder dem Europäischen Rat. Im Europäischen Rat kommen die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder vier Mal im Jahr zusammen. Er spielt in der Gesetzgebung der EU aber formal keine Rolle. Der Europarat ist trotz seines Namens keine Institution der EU.
Im Rat sitzen die Minister der EU-Mitgliedsstaaten und entscheiden über die Gesetzesvorschläge der Kommission. Die Initiativen werden zuvor vom Ausschuss der ständigen Vertreter und den Ratsarbeitsgruppen vorbereitet.
Wenn der Rat alle drei Monate in Brüssel zusammen kommt, reisen nur diejenigen Minister zu den Sitzungen, die mit den dort behandelten Themen befasst sind: Also entweder alle Außenminister, alle Umweltminister oder alle Wirtschaftsminister der EU-Mitgliedsstaaten. Das können in Deutschland je nach Fachgebiet die Bundesminister, als auch Landesminister sein. Wer zu den Ratstreffen geschickt wird, entscheiden die Regierungen der Mitgliedsstaaten.
Den Vorsitz der Sitzungen führt in der Regel der Minister, dessen Land die EU-Ratspräsidentschaft inne hat. Dieses Amt wechselt im Turnus alle sechs Monate. Bis Ende Juni hat Irland die Ratspräsidentschaft inne. Danach kommt Litauen an die Reihe. Deutschland hatte von Januar bis Juni 2007 den Vorsitz im Rat.
Geht es um die Außenpolitik der EU, übernimmt die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton aus Großbritannien den Ratsvorsitz. Sie wurde 2009 von den Außenministern der Mitgliedsstaaten einstimmig dazu bestimmt. Bei ihrer Bestellung wurde kritisiert, dass sie nur wenig Erfahrung in der Außenpolitik habe. Da sie von den Außenministern der Mitgliedsstaaten bestimmt wird, ist anzunehmen, dass die Wahl genau deswegen auf sie gefallen ist, um die eigene Bedeutung in der Außenpolitik nicht durch eine starke “EU-Außenministerin” zu schmälern.
Die Ratsmitglieder entscheiden über Gesetzesinitiativen der Kommission mit Mehrheitsbeschlüssen. Um in der Stimmgewichtung die Unterschiede in der Bevölkerungsanzahl zu berücksichtigen, werden 345 Stimmen entsprechend auf die Länder aufgeteilt: Den größten Anteil, mit 29, haben Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien. Malta hat mit drei Stimmen das geringste Gewicht. Wie viele Stimmen ein Staat erhält, ist anhängig von dessen Bevölkerungszahl. Dabei werden kleine Staaten in der Stimmverteilung bevorzugt.
Ein Gesetz ist mehrheitlich beschlossen, wenn 255 Stimmen oder mindestens 14 EU-Länder für ein Gesetz votieren. Im kommenden Jahr wird das Verfahren der “doppelten Mehrheit” eingeführt. Dann sind Beschlüsse angenommen, wenn ihr mindestens 15 der EU-Mitgliedsstaaten zustimmen und die zustimmenden Länder mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten.
Europäisches Parlament
Die 754 direkt gewählten Europaabgeordneten arbeiten im Europäischen Parlament in Brüssel, Luxemburg und Straßburg. Der Deutsche SPD-Politiker und gelernte Buchhändler Martin Schulz ist derzeit Präsident des Parlaments. Bekannt wurde er, als er im Juli 2003 den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi im Parlament kritisierte da er sowohl Regierungschef Italiens als auch Medienunternehmer war. Er sah in dieser Doppelrolle einen Interessenkonflikt. Herr Belusconi schlug ihm vor, als “Kapo” in einem Film über ein Nazi-Konzentrationslager mitzuspielen.
Die Abgeordneten werden alle fünf Jahre direkt von den Bürgern der EU-Mitgliedsstaaten gewählt. Dabei ist für jedes Land eine bestimmte Anzahl an Abgeordneten vorgesehen, abhängig davon, wie groß der Bevölkerungsanteil an der EU-Bevölkerung ist. Deutschland hat 99 Mitglieder. Die nächste Wahl findet im Mai des kommenden Jahres statt.
Dabei sind die Abgeordneten für verschiedene Regionen zuständig. Für Baden-Württemberg sind 13 Abgeordnete zuständig. Je nach Größe der Partei variiert die Größe des Wahlkreises. Daher gibt es Abgeordnete, die für mehrere Bundesländer zuständig sind. Wer für welche Region zuständig ist, entscheiden die Parteien intern.
Die Abgeordneten organisieren sich nach ihrer politischen Ausrichtung, und nicht nach ihrer Nationalität. Sie sind, wie in den Landtagen oder dem Bundestag in Fraktionen organisiert und arbeiten in den Ausschüssen an den Gesetzesinitiativen. Die Ausschuss- und Fraktionssitzungen finden vor allem in Brüssel statt.
Ein Parlament zieht um
Der Sitz des Parlaments ist Straßburg. Dort kommt das Parlament jedoch nur zwölf Mal im Jahr an den Plenartagen zusammen. Wann genau das ist, beschließen die Abgeordneten jeweils am Jahresanfang. Die Arbeitsorte sind Brüssel und Luxemburg. Für die Abgeordneten, ihre Mitarbeiter und den gesamten Verwaltungsapparat des Parlaments bedeutet das jeden Monat einen Umzug von Personal, Dokumenten und für den Haushalt der EU damit immense Kosten.
Die Verteilung des Parlaments auf drei Orte ist das Ergebnis der Konferenz von Edinburgh von 1992 und seit 1997 im Vertrag von Amsterdam festgeschrieben. Damit sollte der Konflikt zwischen Belgien und Frankreich beigelegt werden, die sich jahrelang um den Sitz gestritten hatten. Den meisten Abgeordneten wäre ein einziger Arbeitsort in Brüssel lieber. Doch Vertrag ist Vertrag: Deshalb bestand Frankreich im vergangenen Jahr darauf, dass das Parlament zwölf Mal in Straßburg tagt und gewann am Europäischen Gerichtshof mit seiner Klage.
Das Europäische Parlament nimmt mehrere Funktionen in Anspruch: Es beschließt Gesetze, bestimmt gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union über den Haushalt, wählt den Präsidenten der Kommission und kontrolliert die Kommission und den Rat der Europäischen Union. Das Parlament kann die Komission per Mehrheitsvotum ablehnen. Beim Rat wird die Kontrollfunktion dadurch wahrgenommen, dass der Ratspräsident zu Beginn und am Ende seiner Amtszeit das Programm im Plenum bespricht.
Wie europäische Gesetze entstehen
Die meisten EU-Gesetze entstehen seit dem Vertrag von Lissabon, der im Jahr 2009 in Kraft getreten ist, im sogenannten “ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“. Dabei arbeitet das Parlament gleichberechtigt mit dem Rat an den Gesetzesvorschlägen der Kommission. In zwei Lesungen können Rat und Parlament Änderungswünsche der vorgeschlagenen Gesetzestexte an die Kommission schicken. Herrscht danach weiter Uneinigkeit, müssen sich beide Organe in einer dritten Lesung – ähnlich dem deutschen Vermittlungsausschuss – einigen. Dieses Zusammenspiel zwischen den drei Institutionen heißt “Trilog“. Kommt keine Einigung zustande, ist das Gesetz gescheitert. Selbst kann das Parlament keine Gesetzesvorschläge einbringen. Es kann aber die Kommission dazu auffordern, einen Gesetzesvorschlag auszuarbeiten und einzubringen.
Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist seit dem Vertrag von Lissabon die Regel. Mit dem Recht des Parlaments, Gesetzesinitiativen zu verändern, ist dessen Einfluss in diesem Verfahren sehr groß. Im sogenannten “Konsultationsverfahren“, das im Vertrag von Nizza festgelegt ist, sind die Einflussmöglichkeiten allerdings deutlich beschränkt. Das Parlament muss hier nur angehört werden. Es kann diese Gesetze weder ablehnen noch ändern. Gesetze im Bereich der Wettbewerbspolitik und Teile der Handelspolitik werden von Kommission und Rat beschlossen. Nach Art. 36 des EU-Vertrags muss der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik das Parlament regelmäßig informieren und dafür sorgen, dass die Auffassungen des Parlaments „gebührend berücksichtigt werden.“
Um diese Aufgaben wahrnehmen zu können, benötigt die EU Geld. Im laufenden Haushalt 2007-2013 belaufen sich die Ausgaben auf über 976 Milliarden Euro. Anders als bei den Nationalstaaten, ist die EU nicht befugt, Steuern zu erheben. Diese Einnahmen ergeben sich aus einem Anteil an der Mehrwertsteuer, die die Mitgliedsstaaten einnehmen sowie aus den Zöllen, die sie für die EU an ihren Außengrenzen einnehmen. Der Anteil der Mehrwertsteuer ergibt sich aus der Höhe des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland überwies 2011 gut 21 Milliarden Euro und bezahlt damit den höchsten Beitrag. Der Rückfluss an Mitteln nach Deutschland beläuft sich auf gut 13 Milliarden Euro. Der größte Teil der EU-Ausgaben fließt nach Polen – gut 14 Milliarden Euro erhielt das Land 2011 aus EU-Mitteln.
Zugang zu Informationen
Jeder Bürger hat Zugang zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments. Die Europäische Kommission hat zudem Informationsbüros in jedem seiner Mitgliedsstaaten eingerichtet, in denen man sich aktuelle EU-Politik und Themen erklären lassen kann. Das Büro “EUROPA DIREKT Informationszentrum” in Mannheim befindet sich im Stadthaus N1. Weitere Auskünfte und Ansprechpartner liefert auch die Homepage der Europäischen Union europa.eu.
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