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Mittwoch, 28. August 2013

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Eine Studie gibt Einblick, welche Bürger protestieren und Beteiligung verlangen

Zeit, Wissen und eine gut gefüllte Kriegskasse

Die Bürgerinitiative zum Erhalt der Breitwiesen bei der Übergabe von mehr als 5.000 Überschriften. Der Lohn: Der Bürgerentscheid am 22. September 2013. Ganz links: OB Bernhard, Mitte: Fritz Pfrang.

 

Weinheim/Heddesheim/Ilvesheim/Ladenburg/Rhein-Neckar, 07. März 2013. (red/zef/tegernseerstimme.de) Egal, ob die aktuellen Debatte um den Neubau der Neckarbrücke an der L597 oder die Proteste gegen den Bau eines Logistiklagers der Firma Pfenning in Heddesheim oder die Auseinandersetzung um die Weinheimer Breitwiesen. Schaut man sich die Veränderungen der letzten Jahre in der Lokalpolitik an, wird eines offensichtlich: Es gibt vermehrt Protest. Die spannende Frage, die sich dahinter verbirgt: Wer sind die Bürger, die protestieren und was bezwecken sie?

Von Steffen Greschner

Nicht nur in der Metropolregion sind es vor allem Bauprojekte, bei denen in den vergangenen Jahren immer wieder Verzögerungen auftraten. Der Grund: Bürger engagierten sich, wollten mitsprechen oder teilweise auch mit aller Macht in den öffentlichen Protest ziehen. Ein Beispiel dafür ist die Bürgerinitiative zur Erhaltung der Breitwiesen in Weinheim. Sprach sich der Gemeinderat zunächst gegen einen Bürgerentscheid aus, einigte er sich mit der Bürgerinitiative und entschied am 27. Februar 2013 dann doch, dass am 22. September findet ein Bürgerentscheid statt. Dann entscheiden die Bürgerinnen und Bürger, ob künftig die Gebiete Breitwiesen oder der Hammelsbrunnen als Gewerbegebiet genutzt werden. Damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde ihre Stimme abgeben, legte man das Datum auf den Tag der Bundestagswahl. Alle Fraktionen des Gemeinderates haben erklärt, dem Ergebnis zu folgen.

Protest zwingt Beteiligte zum Handeln

Politik, Bauträger und Investoren reagieren also auf Protest aus der Bevölkerung, indem sie mittlerweile vermehrt zu Informationsveranstaltungen einladen oder sogar Bürgerentscheide anbieten. Eine Frage, die bisher allerdings recht offen bleibt: Wer sind eigentlich „diese Gegner“, die Menschen, die sich aktiv gegen Projekte stark machen?

Genau dieser Frage hat sich eine Studie des Göttinger Institutes für Demokratieforschung angenommen, die vor kurzem veröffentlicht wurde.

Ein Blick auf die Proteste der letzten Jahre zeigt: Die Bürger in der Bundesrepublik sind politisch in Bewegung, wie seit den achtziger Jahren nicht mehr. Ihre Proteste haben das Zeug dazu, ungeahnte Dynamiken zu entwickeln und sind in der Lage, über Jahrzehnte hinweg organisierten Einspruch zu erheben.

Im Einzelnen sehen die Ergebnisse folgendermaßen aus (PDF):

  • Der Protest in Deutschland geht vom Milieu der Kinderlosen aus.
  • 70 Prozent der befragten Aktiven sind männlich, knapp 30 Prozent weiblich. Einzig die Initiativen im Bildungs- und Schulbereich sind mit rund 75 Prozent Anteil von Frauen geprägt.
  • 55 Prozent der Befragten haben einen Studienabschluss oder eine Promotion. Die „kleinen Leute“ sind kaum vertreten.
  • Besonders in den Protestgebieten der Infrastruktur, dem Energiewendekomplex und der Stadtentwicklung sind zu großen Teilen Ingenieure, Techniker, Informatiker und Biologen anzutreffen.
  • Unter den Befragten fällt ständig der Vorwurf, dass man es lediglich mit einer „Scheindemokratie“ zu tun hätte. Kommt man auf Parteien und Politik zu sprechen, dann löst dies einen Schwall von Hohn und Verachtung aus.

Die Ergebnisse beziehen sich allerdings nicht auf das rein lokale Umfeld, sondern auf Befragungen unter „gut organisierten Protestgruppen“ bei landesweiten Themen, wie beispielsweise Stuttgart 21. Dort trägt der Volksentscheid späte Früchte: Die Landesregierung erklärte jüngst, die sich abzeichnenden Mehrkosten nicht zu tragen.

Auf lokaler Ebene resultiert Protest oft aus den direkten negativen Auswirkungen, die einzelne Vorhaben auf das eigene Befinden, ein Grundstück oder den eigenen Geldbeutel haben können.

Bürgerbeteiligung über das Internet bietet die Chance, dauerhaft an der Entscheidungsfindung mitzuwirken.

 

Aber nicht nur. Viele Gegner haben nichts davon, wenn etwas verhindert wird. Und so wird der in der Studie skizzierte Typus des älteren Ingenieurs, mit viel Zeit als Aktivist in Baufragen, auch in der Metropolregion öfters mal passen.

Veränderung mit Vor- und Nachteilen

Mit und durch den wachsenden Wunsch nach Beteiligung findet eine Veränderung statt, die nicht alleine politische Akteure betrifft, sondern Auswirkungen auf die komplette Gesellschaft haben kann. Manche bewerten diese Prognosen durchaus negativ. Von „Verhinderern“ ist dann schnell die Rede. Davon, dass man durch ständige Diskussionen nie voran kommt. Stuttgart21 lässt grüßen.

Andere sehen in dem Wissen und dem Engegament, das durch die Gegner eingebracht wird, dagegen eine große Chance. Projekte könnten in Zukunft von vornherein mit größerer Akzeptanz und durchdachteren Konzepten an den Start gehen, wenn es gelingt die unterschiedlichen Wünsche und Meinungen unter einen Hut zu bringen. Und ordentlich zu informieren: Ein Paradebeispiel ist die Auseinandersetzung um den Neubau der Neckarbrücke an der L597, zwischen Ilvesheim und Mannheim-Seckenheim auf der einen und Edingen-Neckarhausen und Ladenburg auf der anderen Seite. Gegner und Befürworter sehen fast immer nur die eigenen Argumente und blenden Fakten aus.

Diese Diskrepanz ist der eigentlich spannende Punkt, der in der vorgestellten Studie sehr deutlich wird: Auch von den dort Befragten und durchaus aktiven Gegnern hat kaum einer fertige Lösungen für eine Neugestaltung der politischen Beteiligung parat. Zwar wird auf Partizipation und mehr direkte Demokratie verwiesen, gleichzeitig aber auch dem Typus des charismatischen Politikers mit Durchsetzungsstärke nachgetrauert. Manche rufen auch nach der vermeintlich starken Hand einer vergangenen Politikergeneration.

Wie bringt man Gegnerschaft und Wissen zusammen?

Auf der anderen Seite steckt aber gerade in der Zusammensetzung der wirklich engagierten Gruppierungen viel Wissen, das man auch positiv nutzen könnte. Was das bedeuten kann, wird zum Ende der Studie deutlich:

Hinter dem Engagement von Bürgern stehen Wissen, Ideen und beträchtliche Energien, derer sich der Staat bedienen kann. Und doch bleibt ein Dilemma: Der unzweifelhaft gestiegene Wunsch nach vielfachen Beteiligungen der Bürger an politischen Vorhaben verkompliziert den Entscheidungsprozess, produziert Langwierigkeit, endet oft vor Gerichten.

Mit solchen Ergebnissen sind viele jedoch nicht glücklich. Dabei sind es nicht nur Bürgermeister oder Firmen, die in solchen Fällen eine kontraproduktive Art von Einmischung sehen. Auch viele Bürger sehen in den Aktionen keinen Gewinn, sondern sinnlose Taten einzelner, die alles nur noch komplizierter machen.

Neue Wege zu suchen ist Aufgabe der Politik

Wie und ob sich dieses Dilemma lösen lässt, liegt nicht zuletzt daran, wie der Austausch der jeweilgen Fronten verläuft. Ob es gelingt, das eingebrachte Wissen sinnvoll in Projekte einfließen zu lassen oder ob man sich auch in Zukunft wie so oft vor Gericht trifft.

Solange sich die unterschiedlichen Sichtweisen unversöhnlich gegenüber stehen, wird es schwer, einen Fortschritt zu erkennen. Es sollte daher Chance und Aufgabe – nicht zuletzt der Lokalpolitik – sein, sich den Themen frühzeitig anzunehmen und nach Wegen und Lösungen zu suchen, wie der Wunsch nach Beteiligung positiv in eine “neue” Form der Politik einfließen kann.

Das ist keine leichte Aufgabe aber sicherlich eine, die sich zum einen lohnen kann und die vor allem unumgänglich ist. Denn auch das ist eine durchaus logische Prognose der Studie: Protest, wie man ihn heute kennt, wird nicht aussterben. Im Gegenteil: Die Beteiligten werden lediglich älter, sammeln Erfahrungen und gehen irgendwann in Rente. Und dann geht es erst richtig los: Mit viel Zeit, ein Leben lang gesammeltem Wissen und einer gut gefüllten “Kriegskasse”.

Anm. d. Red.: Steffen Greschner ist freier Journalist und lebt in Berlin. Er hat unser Partnerblog Tegernseerstimme.de mit aufgebaut und beschäftigt sich intensiv mit den Themen Politik, Neue Medien, Bürgerbeteiligung. Weitere Texte finden Sie bei www.xpolitics.de.

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  • http://www.WeinheimPlus.de Peter Lautenschläger

    Das ist schon ein interessanter Artikel – keine Frage. Aber es wäre auch einmal interessant mit welchen Mitteln Elemente der direkten Demokratie, von denen verhindert werden, die selbst entscheiden wollen.

    “Noch mehr Zeit, Expertokratie und Bürokratie, und Zugriff auf die Kassen der Allgemeinheit” könnte man hier titeln.

    Da werden Fortbildungsveranstaltungen abgesagt (Klausurtagung), falsche Behauptungen aufgestellt (kein Bürgerentscheid möglich), künstlicher Zeitdruck erzeugt, Rechtsgutachten eingeholt usw. Und als dies nicht die Bürger zur Ruhe bringt, wird ein Pseudoverfahren der “direkten Demokratie” teuer eingekauft, dessen Ergebnisse schlicht nicht akzeptiert wurden – erneut von denen die lieber selbst am bestebn auch noch nichtöffentlich entscheiden wollen.

    Noch Fragen ? Falls ja wird mit dem Geld der Allgemeinheit eine Öffentlichkeitsarbeit angeworfen, die verschleiert wie die Sache gelaufen ist.

    Das Ergebnis in Weinheim : Nach monatelangen Verzögerungen und trotz erheblichem Personaleinsatz auf Seiten der Stadtverwaltung wurden geschätzte 150.000,00 EUR (ca. 100.000,- davon für die Installierung der “Bürgerräte”) aus dem Fenster geworfen. Das ein Bürgerrat aus dem Umfeld der Weinheimer Jusos (ausgerechnet der von der Stadt beauftragten Universität Wuppertal) nun als Doktorant Bürgerbeteiligung wissenschaftlich untersucht, weist nicht zuletzt darauf hin, dass man über Bürgerbeteiligung gerne spricht und noch lieber die Bürger erforscht, als die Bürger ernsthaft beteiligen zu wollen.