Mannheim/Heppenheim/Rhein-Neckar, 09. September 2011. (red) Ein schwerer Unfall auf der A5 bei Heppenheim fordert ein Todesopfer. Medien berichten. Die Öffentlichkeit will wissen, was passiert. Das Rhein-Neckar-Fernsehen (RNF) zeigt fast zwölf Minuten lang ungeschnittenes Videomaterial – darunter fast zwei Minuten die Leiche, die von Bestattern in einen Sarg gewuchtet wird. Ist das noch “Journalismus” oder nur noch voyeuristischer Trash? Die Frage muss man nicht stellen – wer so verantwortungslos handelt, hat mit verantwortlichem Journalismus längst nichts mehr zu tun. Noch nicht einmal der Anschein wird noch gewahrt. Man hält ohne Sinn und Verstand drauf und hofft auf “Quote”.
Ergänzung:
Der RNF-Mitarbeiter Ralph Kühnl hat gegenüber unserer Redaktion den Vorgang folgendermaßen erklärt: “Mit dem Einstellen des Rohschnitts ins Netz ist einem nicht-redaktionellen Mitarbeiter der Gaul durchgegangen. Darüber gab es hier im Sender bereits gestern Diskussionen, die sicherlich dazu führen, dass ein solcher Fall nicht mehr eintritt.” Weiter hat Herr Kühnl erklärt, man habe nach Kenntnis des Fehlers das “Rohmaterial” um einen ausführlichen Text ergänzt und damit bestätigt, dass die Redaktion auch nach Kenntnis der Veröffentlichung das Rohmaterial nicht sofort gelöscht hat. Es bleibt jedem selbst überlassen, welche Meinung man sich aus diesen Informationen bilden mag.
Der Sender hat mittlerweile (wie von uns vorgeschlagen, siehe Kommentar 10. September 2011 um 16:56 Uhr) eine Entschuldigung unter dem Sendebeitrag veröffentlicht.
In den Kommentaren finden Sie weitere Informationen.
Von Hardy Prothmann
Als ich die Bilder vom Unfall auf der A5 vom Donnerstag auf dem Internet-Portal von RNF sehe, bin ich fassungslos. Nicht darüber, dass ich eine Leiche sehe. Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich viel Leid sehe, Zerstörung und auch den Tod sehen muss. Hinschauen muss. Auch Polizisten, Ärzte, Sanitäter, Feuerwehrleute, Gutachter sind damit leider immer wieder konfrontiert.
Aber wir arbeiten professionell, jeder tut, was er tun muss. Und als Journalist berichtet man für die Öffentlichkeit darüber, was passiert ist. Aber als verantwortlicher Journalist achtet man darauf, zwischen dem öffentlichen und dem privaten Interesse zu unterscheiden.
Es ist absolut zulässig, in Bild, Ton oder Schrift über Opfer zu berichten. Es ist aber geboten, dies im Zweifel mit dem gebührenden Abstand zu tun. Auch wir haben über den Unfall auf der A5 berichtet, bei dem ein Mann ums Leben gekommen ist. Auch auf unseren Bildern sieht man, dass eine Leiche am Boden liegt und von einem Tuch abgedeckt wird. Unser Bilder sind aus der Distanz aufgenommen und dokumentieren den tragischen Unfall, das “Ereignis”.
Die Bewegtbilder, die beim RNF zu sehen sind, zeigen, wie Bestatter einen Sarg herbeitragen und das Opfer versuchen, ihn dahin zu hieven. Das klappt nicht beim ersten Mal. Der Leichnam stößt an den Sarg, die Anstrengung der Bestatter ist deutlich zu sehen. Als es endlich gelingt, die Leiche in den Sarg zu hieven, lässt sich der Deckel nicht schließen. Der Leichensack wird reingestopft. Die Männer transportieren Sarg und Leiche ab.
Man könnte nun aus Sicht des RNF argumentieren: “Wir zeigen, wie es ist.” Aber ist das ein Argument? Was ist mit der Würde des Toten? Was mit den Gefühlen der Familie?
“Vollkommen egal”, könnte man als Hardcore-Dokumentarfilmer sagen: “Wir zeigen, wie es ist.”
Aber auch die härtesten Hardcore-Dokumentarfilmer stellen sich immer die Frage, ob das, was sie zeigen, gezeigt werden “muss”. Was ist der Erkenntnisgewinn? Was tragen die Bilder zur Aufklärung der Öffentlichkeit bei? Warum sind sie wichtig? Tragen sie zur Förderung der Meinungsfreiheit bei?
Die Bilder des RNF sind erschütternd. Sie zeigen, dass der Sender überhaupt keinen Wert auf journalistische Selbstkontrolle legt. Hier wird nur Voyeurismus bedient, irgendwelche redaktionell-journalistische Gedanken oder auch nur ein Rest von Anstand sind auch im Ansatz nicht zu erkennen.
Das ist Trash-TV in Reinkultur – mit der Kamera auf alles draufhalten, was die Häarchen auf den Armen aufstellen lässt. Klar – RNF ist ein dröger Provinzsender, der eher nicht durch guten, kritischen Journalismus auffällt. Aber mit diesem Film zeigt der Sender eine Verantwortungslosigkeit, die die zuständige Lizenzbehörde auf den Plan rufen muss.
Auch Privatsender haben Standards der Berichterstattung zu erfüllen und müssen die Lizenz verlieren, wenn sie diese nicht einhalten. Ein Privatsender, der ungeschnittenes Videomaterial über eine menschliche Tragödie über zwölf Minuten Länge einfach so ins Internet stellt, ist dafür ein Kandidat.
Ob Herr Bert Siegelmann die Größe hat, sich im regulären Programm für diese Verfehlung zu entschuldigen und dafür zu sorgen, dass der Sender journalistische Standards einzuhalten, darf getrost bezweifelt werden.
Einen später zusammen geschnittenen “Beitrag” spricht der lispelnde Senderchef selbst ein – wieder sind Bilder zu sehen, die man nicht zeigen muss, außer, wenn man es “nötig” hat.
Was das RNF hier zeigt, macht mich fassungslos. Als Mensch. Als Journalist macht es mich wütend, weil diese miese Form von “Journalismus (No comment)” auch mich und andere Kollegen beschädigt, die ihren Beruf mit der gebotenen Verantwortung ausüben.
Mir geht es wie jedem anständigen Menschen. Für eine solche “Arbeit” empfinde ich nur Verachtung – die einzig richtige Reaktion, weil man keine Spur von Achtung bei diesem “Bericht” des RNF feststellen kann.
Es ist beschämend, wie das RNF im Wunsch nach Aufmerksamkeit jegliche Selbstkontrolle verliert. Tatsächlich habe ich kein Mitleid mit diesen “Kollegen” – die müssen selbst in den Spiegel schauen und man darf nur hoffen, dass sie bei dem, was sie sehen, eventuell noch eine Spur von Scham empfinden.
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