Weinheim, 12. Dezember 2013. (red/pro/ld) Die geplante Unterbringung von 200 Asylbewerbern in einem noch zu bauenden Komplex an der Heppenheimer Straße sorgt für Ärger. Dirk Ahlheim, Anwohner in der Kolpingstraße, verteilte Handzettel in der gestrigen Gemeinderatssitzung. Und die Botschaft ist eindeutig – man will die Asylbewerber auf keinen Fall vor der eigenen Haustür haben.
Von Hardy Prothmann, Mitarbeit: Lydia Dartsch
Dirk Ahlheim gibt sich als Sprecher einer “Bürgergemeinschaft gegen Flüchtlingsunterkunft in der Heppenheimer Straße” aus – für wie viele Personen er spricht, teilt er nicht mit.
Seine Argumentation ist einfach: 200 Flüchtlinge auf einem Haufen sorgen für soziale Brennpunkte und organisierte Kriminalität. Zwar hätten Flüchtlinge einen Anspruch auf Schutz, doch “dies darf jedoch nicht die Existenz von 100 Weinheimer Familien zerstören.” Die Unterbringung am geplanten Standort an der Heppenheimer Straße (gegenüber Baumarkt Hela) führe “faktisch zu einer Enteignung der Anwohner durch die Stadt”. Deshalb ruft er zum Kampf “für unsere Rechte und die unserer Kinder auf”.
Untergangsstimmung in der Kolpingstraße
Herr Ahlheim verpackt seine Untergangsstimmung in Verständnis für die Notwendigkeit einer Unterbringung und schwingt sich zum Flüchtlingsfreund auf, indem er eine “menschenwürdige Unterbringung” fordert. Schließlich erteilten “auch die Sozialverbände den Massenunterkünften eine Absage”.
Nach unseren Recherchen ist Herr Ahlheim intensiv damit beschäftigt, auch umliegende Gewerbebetriebe anzusprechen, um dort ebenfalls Widerstand zu organisieren:
Wir haben uns mit den Gewerbebetrieben solidarisiert.
Auch Geschäftsführer von anliegenden Betrieben diskutieren die geplante Unterbringung der Asylbewerber in unmittelbarer Nähe. Dabei kommen auch Sorgen zu Einbrüchen und Diebstählen zum Ausdruck. Nach unseren Informationen ist vor allem der Betreiber eines Autohauses an einer Organisation gegen den Standort aktiv. Dieser war heute nicht vor Ort und nicht zu erreichen.
Ein anderer Unternehmer sieht die konzentrierte Unterbringung der Asylbewerber kritisch. Man solle die Menschen schneller und stärker in die Gesellschaft integrieren. In solchen Sammelunterkünften blieben sie aber meist unter sich. Kritisch sehe er auch die Informationspolitik der Stadtverwaltung: Erst gestern wurde er per Post zu einer Informationsveranstaltung mit Oberbürgermeister Heiner Bernhard und Landrat Stefan Dallinger in der kommenden Woche eingeladen. Die Pressekonferenz zu dem Thema fand bereits am 03. Dezember statt – vor über einer Woche. Auch wundere es ihn, sagt er, dass die Stadtverwaltung das Vorhaben als “vollendete Tatsache” präsentiert. Der Gemeinderat müsse der Bebauungsplanänderung ja erst noch zustimmen.
Ein anderer Geschäftsmann eines großen Unternehmens wird sich nicht an Aktivitäten beteiligen, wenn er auch die Sorge um vermehrte Ladendiebstähle und Einbrüche teilt. Er sei von Privatleuten – Anwohnern – angerufen worden mit der Bitte, etwas gegen das geplante Asylbewerberwohnheim zu unternehmen – die Grundstücke aufkaufen beispielsweise. Er sehe aber keine Möglichkeit dagegen vorzugehen.
Denunziation als “kritischer Kommentar”
Herr Ahlheim selbst ist Vorstand einer in Weinheim ansässigen Verpackungsfirma und ist bereits vor einigen Tagen durch einen, wie er meint, “kritischen Kommentar” aufgefallen. Tatsächlich hat Herr Ahlheim die 200 Menschen, von denen noch niemand weiß, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie kommen, direkt denunziert und kriminalisiert:
Danke liebe Stadt, erst Familien nach Weinheim locken, und dann den anliegenden Bolz- und Spielplatz in einen Ort für für schnelle Drogengeschäfte verwandeln, prima Idee. Da brauchen unsere Kinder gar nicht mehr den Bus nehmen, um an Drogen zu kommen!
Weiter empfiehlt er der Redaktion, uns besser zu informieren, es gäbe “zahlreiche Erkenntnisse”. Welche das sein sollen, sagt Herr Ahlheim nicht. Nach unseren Recherchen gibt es beispielsweise aus Sicht der Polizei keine nennenswerten “Erkenntnisse”.
NPD-Argumentation
Herr Ahlheim kündigt an:
Wir werden alle Mittel gegen die von der Stadt angekündigte “vorhabensbezogene Änderung des Bebauungsplans” ausschöpfen.
Weiter meint er, “nicht jeder ist gleich fremdenfeindlich, nur weil er gegenüber einem Flüchtlings- und Asylheim kritisch eingestellt ist”.
Erstaunlich nur, dass Herr Ahlheim argumentativ auf einer ähnlichen Linie argumentiert, wie die NPD: Er schürt Angst vor Kriminalität und Drogen, thematisiert eine Existenzbedrohung und warnt vor Enteignung. Da der Weinheimer NPD-Kreisvorsitzende Jan Jaeschke hier quasi ein “Heimspiel” hat, muss man von baldigen Aktivitäten ausgehen. Hier wolle man sich distanzieren, teilt Herr Ahlheim mit. Ob das gelingen kann, bei gleicher Argumentation, darf bezweifelt werden. Die NPD hat das Thema ebenfalls aufgegriffen und kommentiert auf deren Website:
Höchste Zeit, in Weinheim einen echten Bürgerentscheid durchzuführen. Die Frage müsste lauten: “Ist es für Weinheim zumutbar, noch mehr Asylbewerber aufzunehmen?” Wir sagen: “Nein, es ist genug!”
Von den Weinheimer Gemeinderatsfraktionen hat man hingegen noch keine Reaktion gehört, dabei hat die geplante Unterbringung das Zeug dazu, ein sehr heißes Wahlkampfthema zu werden. Und die Gegner haben schon erkannt, dass der Gemeinderat der Umwidmung des Geländes und dem Bebauungsplan zustimmen muss.
Keine gute Bürgerbeteiligung
Albrecht Lohrbächer, Pfarrer im Ruhestand und Mitgründer des Arbeitskreis Asyl Weinheim, sagt, dass sei dieselbe Argumentation wie bereits 1986, als sich der Arbeitskreis gegründet hat. Damals kamen in der Stadt Iraner unter, die Aufregung war groß und die Vorurteile waren gewaltig. Durch einen intensiven Austausch legte sich das bald:
Solche “Argumente” sind Stimmungsmache und objektiv nicht nachzuvollziehen.
Er kann die Sorge um einen Wertverlust verstehen, weist aber gleichzeitig auf das bestehende Gewerbegebiet hin und meint, dass das keinen großen Unterschied macht. Den Standort findet er aktzeptabel, wenngleich auch er die Unterbringung von 200 Menschen als nicht vorteilhaft und “zu massiv” sieht:
Enttäuschend ist auch, dass wir erst angesprochen worden sind, als die Standortentscheidung schon gefallen war. Wir hätten sicherlich kritische Punkte ansprechen können. Eine gute Bürgerbeteiligung ist das nicht.
Entsprechend absehbar sei deswegen auch der Widerstand, der sich jetzt bilde. Andererseits verstehe er nicht, dass man als normaler Mensch Mitleid mit den Menschen in den Kriegsgebieten habe, Schutz zugestehe, aber doch “bitte nicht vor meiner Haustür”:
Diese Menschen haben eine freundliche Aufnahme und keinen Widerstand verdient. Das ist eine unmenschliche Reaktion.
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