Weinheim, 16. November 2010. Der Pressesprecher der Weinheimer CDU, Dr. Thomas Ott, hat uns eine “unredliche Berichterstattung” im Zusammenhang mit einem Interview zu Vor- und Nachteilen von Stuttgart 21 für die Region vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist unhaltbar und das Gegenteil ist richtig: Nicht wir arbeiten unredlich, sondern die CDU äußert sich unredlich und stützt sich dabei auf eine falsche und unredliche Berichterstattung in der Rhein-Neckar-Zeitung.
Von Hardy Prothmann
Herr Dr. Ott – wir schätzen Sie wie alle anderen Leserinnen und Leser für kritische Kommentare. Wenn Sie allerdings anfangen, dummes Zeugs zu schreiben, bleibt uns nur, Sie zur Besinnung zu rufen.
In Ihrem Kommentar zu unserem Interview mit dem Pro Bahn-Experten Michael Löwe werfen Sie uns vor, wir würden “unredlich und nachweislich falsch” berichten. Sie kommentieren unseren Interviewtext folgendermaßen:
Sie zitieren Michael Löwe mit den Worten “Ich befürchte durch S21 eine deutliche Verzögerung für die S-Bahn Rhein-Neckar” und machen daraus in der Überschrift “Stuttgart 21 bremst die S-Bahn in der Region aus”. Das ist unredlich und nachweislich falsch.
Als Beleg führen Sie ein Schreiben der Landesregierung und einen Bericht in der RNZ an:
Ich verweise hierzu auf die Antwort des Verkehrsministers Hermann auf eine Anfrage des Abgeordneten Georg Wacker (Drucksache 15/754) vom 9.11.2011. Die RNZ berichtete bereits entsprechend unter der Überschrift “Verzögerungen ja – aber nicht wegen S 21″
(Anmerkung: Den RNZ-Artikel kann man hier nachlesen.)
In einem weiteren Kommentar bitten Sie um eine Erläuterung, “wie Sie zu der Verkürzung der “Befürchtung” zu einer Tatsachenbehauptung kommen”. Das ist einfach zu erklären: Lesen Sie einfach nochmal das Interview, in dem die Zusammenhänge der Finanzierung von Bahnprojekten sehr deutlich dargestellt werden. “Schlagzeilen”, also Überschriften, sind immer eine Zusammenfassung von Inhalten und im Kern trifft unsere Schlagzeile als Zusammenfassung die Aussagen des Interviewpartners.
Nun zu Ihren “Belegen”:
Der Autor Stefan Hagen stilisiert in dem Bericht den CDU-Abgeordneten Georg Wacker zum sorgenvollen Kämpfer für den Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar:
Georg Wacker macht sich Sorgen um den Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar. Und zwar so große Sorgen, dass der Christdemokrat und einige Parteifreunde jetzt den Kontakt zur grün-roten Landesregierung gesucht haben.
Herr Ott, wen wollen Sie, Herr Wacker und Herr Hagen hier eigentlich veräppeln? Was will Herr Hagen damit sagen? Dass man als “Christdemokrat” fast schier verzweifelt sein muss, bevor man, ganz unglaublich, es schaudert einen, sogar mit dieser, dieser, dieser, man wagt es kaum zu schreiben, grün-roten Landesregierung, in Kontakt kommt? Fast schon todesmutig?
(Anmerkung: Den Text von Herrn Wacker können Sie hier nachlesen.)
Der edle Herr Wacker “will endlich Klarheit schaffen”, heißt es im “Bericht” der RNZ. War vorher etwas unklar? Bis zur Landtagswahl war Herr Wacker selbst Teil der Regierungsfraktion und Staatssekretär.
Vermutlich ist Herrn Hagen so einiges unklar und er hat eventuell übersehen, dass bis zur vergangenen Landtagswahl in diesem Sommer die CDU über fast zehn Dekaden das Land regiert hat und Stuttgart 21 sowie der Ausbau der S-Bahn unter deren Amtszeit gefallen ist. Eventuell hat auch Herr Wacker nicht mitbekommen, dass er Teil dieser früheren CDU-geführten Landesregierung war?
Immerhin, “die Landesregierung stehe zu den Finanzierungsaussagen”, heißt es bei der RNZ und:
Allerdings geht die Landesregierung inzwischen davon aus, dass es gegenüber der ursprünglich geplanten Fertigstellung zum Fahrplanwechsel im Dezember 2015 zu Verzögerungen kommen wird.
Die Darstellung in der RNZ liest sich so, als hätte das die neue Regierung zu verantworten. Tatsache ist, dass die neue Landesregierung den Zeitplan bezweifelt, den die frühere CDU-Regierung noch vor der verlorenen Wahl als sichere Tatsache dargestellt hat. In der RNZ liest man aber diesen richtigen Zusammenhang nicht.
Als wäre das noch nicht genug tendenziöse und verklärerische Berichterumstattung, zitiert Herr Hagen das Landtagsmitglied Wacker folgendermaßen:
“Aber”, ergänzt Wacker, “diese möglichen Verzögerungen werden vom Verkehrsminister eindeutig nicht mit Stuttgart 21 in Verbindung gebracht”. Dann kommt Wacker so richtig in Fahrt und nimmt seinen “Lieblings-Grünen” ins Visier. “Uli Sckerl hat immer wieder behauptet, dass Stuttgart 21 den Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar um Jahre verzögert”, zitiert Wacker den Parlamentarischen Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion.
“Eindeutig nicht mit Stuttgart 21 in Verbindung gebracht”, ist bis sogar richtig, den “Stuttgart 21″ taucht im Schreiben überhaupt nicht auf.
Was dann folgt, ist nicht nur unredlich, sondern eine glatte Lüge, die die Zeitung als Tatsachenbehauptung des Landtagsabgeordneten Georg Wacker vollständig unkritisch und als vermeintlich wahre Behauptung transportiert:
Die Antwort aus dem Verkehrsministerium habe aber “die Propaganda des Kollegen widerlegt”.
Weiter schreibt die Zeitung direkt im Folgeabsatz, quasi als “Beleg”:
So heißt es in dem Schreiben, dass das Eisenbahnbundesamt derzeit unabhängig vom Ausgang der S-21-Volksabstimmung den Rahmenterminplan überprüfe und es zu befürchten sei, dass es bei einzelnen Abschnitten und Baumaßnahmen zu deutlichen Verzögerungen kommt.
“So” gelesen, könnte man annehmen, dass die Landesregierung einen Zusammenhang zwischen Stuttgart 21 und dem Ausbau der S-Bahn Rhein-Neckar formuliert hätte. Hat sie aber nicht. Das Wort Stuttgart 21 kommt kein einziges Mal in dem Schreiben vor und auch kein Zusammenhang zur S-Bahn. Was Herr Wacker da von sich gibt und die Zeitung aufschreibt, ist ein konstruierter Zusammenhang einer nicht vorhandenen “Tatsache”. Und sicher als gezielte Einflussnahme zur bevorstehenden Volksabstimmung zu verstehen.
Von einer “Widerlegung der Propaganda” kann keine Rede sein – wohl aber von einer falschen Tatsachenbehauptung des Herrn CDU-Landtagsabgeordneten Georg Wacker, die von der RNZ willfährig und ohne Überprüfung als “Wahrheit” transportiert wird. Die Zeitung macht sich damit zum unredlichen Lügengehilfen eines unredlichen CDU-Politikers.
Und Sie Herr Dr. Ott, schämen sich kein bisschen dafür, den Mist auch noch als Grundlage zu nehmen, um uns Unredlichkeit zu unterstellen.
Weiter schreibt die Zeitung:
“Die Kommunen brauchen schnellstmöglich Planungssicherheit.” Schließlich investieren viele Kommunen in die Infrastruktur im Umfeld der Bahnhöfe und haben daher, so Wacker, ein gesteigertes Interesse daran, dass die Zeitpläne zum S-Bahn-Ausbau eingehalten werden.
Der erweckte Eindruck, die neue Landesregierung sei dafür verantwortlich, dass sich der Zeitplan des S-Bahn-Ausbaus verzögere, ist ebenfalls falsch und schon fast hinterlistig in der vermutlich bewussten Verkennung der Tatsachen.
Herr Ott, bevor Sie das nächste Mal die Aussagen unredlicher Parteifreunde und unredlicher Zeitungen benutzen, um anderen Unredlichkeit zu unterstellen, sollten Sie sich an das C Ihrer Partei erinnern, Matthäus, Kapitel 5,33 aufschlagen und nachlesen, was da steht:
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast.
Mit freundlichen Grüßen
Hardy Prothmann
Dokumentation: Das Original, die Interpretation, die Vervielfältigung
Anmerkung der Redaktion: Beim Lesen des RNZ-”Berichts”, verfasst vom Redakteur Stefan Hagen, hatten wir zunächst den Eindruck, es handle sich um einen selbstständig verfassten Bericht, der auf eigener Recherche und eigenen journalistischen Leistungen beruht, so wie man sich die Arbeit eines “redlichen Journalisten” vorzustellen hat.
Dem ist aber nicht so. Es handelt sich vielmehr um eine eindeutige Täuschung der Leserinnen und Leser der RNZ, denn der Redakteur Stefan Hagen hat “nur” den Text des CDU-Landtagsabgeordneten Georg Wacker “umgearbeitet” und alle wesentlichen Inhalte teils im Wortlaut, teils mit geringfügigen Veränderungen übernommen. Eigenständige journalistische Leistungen sind bis auf “prosaische Einsprengsel” nicht zu erkennen.
Diesen PR-Text in CDU-eigener Sache “verkauft” der Redakteur als eigenständige Leistung, indem er den Text unter seinem Namen als Verfasser veröffentlicht. Das kann man gar nicht anders als grobe und arglistige Täuschung von Leserinnen und Lesern verstehen, die davon ausgehen müssen, es handle sich um eine eigenständige Leistung, was aber nicht den Tatsachen entspricht.
Das hat mit Journalismus nichts zu tun, sondern ist als eine propagandistische Manipulation der Öffentlichkeit zu werten, die unter dem Deckmantel einer vermeintlich unabhängigen und objektiven Berichterstattung daherkommt.
Auf telefonische Nachfrage bei Herrn Hagen, was einen Journalisten dazu treibt, einen parteipolitischen PR-Text in dieser Art zu veröffentlichen, sagte Herr Hagen: “Das ist mein Text, ich habe den verfasst und bearbeitet. Ich bedanke mich herzlich.” Dann legte Herr Hagen auf.
Die Nachfrage, ob Herr Hagen vielleicht zunächst für Herrn Wacker den Text für dessen Seite geschrieben hat, um darauf seinen eigenen Text als eigenen Text zu veröffentlichen, konnten wir nicht mehr stellen und so bleibt diese Frage offen. Schade auch.
Zum Vergleich der Entstehung einer Propaganda-Legende drei Textausschnitte.
Das Original:
Das Verkehrsministerium antwortet am 09. November. 2011 auf die Anfrage des CDU-Landtagsabgeordneten Georg Wacker.
Die Interpretation:
Der CDU-Landtagsabgeordnete “erweitert” am 14. November 2011 den Inhalt mit Bezug auf die “Kollegin” Elke Brunnemer: “überprüfe zurzeit unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung”. Ob diese “Erweiterung” nun Herrn Wacker oder der Landtagsabgeordneten Brunnemer zuzuschreiben ist, wird nicht exakt deutlich.
Die Verbreitung:
Die RNZ erweitert am 15. November 2011 die Erweiterung und verknüpft die “widerlegte Propaganda” mit “so heißt es in dem Schreiben”. So entsteht der Eindruck, als sei die unwahre Tatsachenbehauptung von Wacker/Brunnemer belegt. Fertig ist die Konstruktion einer nicht vorhandenen “Tatsache”.
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