Weinheim, 18. März 2012. (red) In Bayern sind Bürgerentscheide längst ein von der überwiegenden Mehrheit der Bürger und Politiker geschätztes Mittel direkter Demokratie. In Baden-Württemberg scheitern Bürgerentscheide oft am Negativkatalog oder am Quorum. Und dass Gemeinderäte von sich aus die Bürgerinnen und Bürger entscheiden lassen, gibts schon mal so gut wie gar nicht. Von Bürgerbeteiligung zu reden, ist schick – aber meist nur leere Luft. Es gibt aber positive Beispiele.
Von Hardy Prothmann
Es gibt Streit im Ort – die einen wollen nicht, was die anderen wollen. Zwar könnte die Mehrheit ihren Willen qua Gemeinderatsbeschluss durchsetzen – aber dem Bürgermeister ist nicht wohl dabei. Er will keine Gewinner und Verlierer sehen, sondern die Entscheidung in einer Sachfrage.
Deshalb schlägt er dem Gemeinderat vor, die Entscheidung an die Bürgerinnen und Bürger zu geben. Sie sollen per Bürgerentscheid bestimmen, welche Lösung sie haben wollen. 56 Prozent nehmen am Bürgerentscheid teil. Das Ergebnis ist eindeutig 81 Prozent sind für die Lösung der Mehrheit im Gemeinderat, 19 Prozent dagegen.
Nach dem Bürgerentscheid sind beide Seiten zufrieden. Sie akzeptieren das Ergebnis dieser direktdemokratischen Entscheidung.
Richtig – diese Abstimmung fand nicht in Weinheim statt, sondern in Gondelsheim in der Nähe von Karlsruhe. Es ging um die Frage, ob es eine Bahnunterführung oder eine Umgehung geben sollte. Die Bahnunterführung kann nun kommen. Eine sehr aktive Gruppe hatte die Umgehung gewollt, die meisten Bürgerinnen und Bürger aber nicht.
Entscheidung in der Sache
Der Gondelsheimer Bürgermeister Markus Rupp (SPD) hat den dritten Bürgerentscheid in der 3.500-Seelen-Gemeinde angestoßen, der Gemeinderat hat dafür gestimmt, die Bürgerinnen und Bürger haben sich aktiv beteiligt. (Den Bericht unseres Partnerblogs “Neues aus der Region” finden Sie hier.)
Szenenwechsel: Waakirchen am Tegernsee. Es gibt Diskussionen um einen Hotelneubau. Es gibt ein Bürgerbegehren, es kommt zum Bürgerentscheid. 64,5 Prozent beteiligen sich, 80 Prozent stimmen für den Hotelbau – ungefähr so hätte auch der Gemeinderat abgestimmt. Der Entscheid ist bindend. Es gibt keinen Ärger. In der Sache wurde entschieden. (Tipp: Sehr lesenswerter Kommentar auf unserem Partnerblog “Tegernseer Stimme”.)
Warum geht das nicht auch in Weinheim?
Weil hier wie in vielen Kommunen noch die “alte Politik” gemacht wird. Vor Wahlen wird alles mögliche versprochen und dann wird regiert, als gäbe es keine Bürgerinnen und Bürger. Und Stadträte trauen denen, die sie vertreten, nichts zu.
Wer sagt “zu komplex”, kann auch gleich sagen: “Der Bürger ist dumm.”
“Zu komplex” ist ein beliebter Ausdruck, sei die Entscheidung. Das könne man nicht dem Bürger überlassen, der vermutlich “einseitig” informiert sei und schon gar nicht “die Tragweite ermessen kann”. Auch Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) argumentiert so. Im Klartext heißt das: Ich traue Euch Mitbürgern nicht zu, dass Ihr Euch eine eigene Meinung bildet. Ich machs schon richtig. Euch brauche ich nicht dafür.
Zumindest war das noch vor kurzem so. Jetzt hat auch OB Bernhard zumindest als Möglichkeit einen Bürgerentscheid entdeckt. Vorher soll das Volk aber über ein Forum und “Bürgerräte” auf kurz gebracht werden.
Die Taktik ist klar: Dass sich Bürger überhaupt erheben, dafür braucht es viel Ärger. Diesen Ärger bekommt man aber klein, in dem man Verfahren zieht. Jede Stunde Zeit, die die Verwaltung hineininvestiert, bekommen die Mitarbeiter bezahlt. Die “aufständigen” Bürger aber müssen das in ihrer Freizeit erledigen.
Und: Ein Bürgerentscheid gegen einen Aufstellungsbeschluss in einem Bauleitferfahren ist gesetzlich nicht erlaubt. Ob das im vorliegenden Fall gilt, ist zwar unklar, aber der Oberbürgermeister behautpet das. Denn eigentlich will er keinen Bürgerentscheid. Er hat Sorge, dass die Gegner in der Überzahl sind.
Wie wenig demokratisches Verständnis OB Bernhard mitbringt, erkennt man am Ablauf. 2007 hatte der ATU empfohlen, die Flächen Hammelsbrunnen gegen Breitwiesen zu tauschen. Vier Jahre passierte nichts. Erst im Sommer 2011 kam das Thema plötzlich wieder auf und dann sollte alles schnell gehen, Druck wurde aufgebaut und das Ergebnis ist nun eine verfahrene Situation.
Bürgerbeteiligung aus Not – nicht aus Überzeugung
Spätestens im September musste nach einer ersten Unterschriftensammlung klar gewesen sein – bei der Frage besteht ein erhebliches Konfliktpotenzial. Statt Fakten zu schaffen, hätte der OB dem Gemeinderat auch eine Beschluss vorlegen können, der die Situation offen hält. Beispielsweise Verhandlungen mit dem Regionalverband aufzunehmen, um noch etwas Zeit zu gewinnen. Gleichzeitig hätte er dem Gemeinderat vorschlagen können, die Frage durch einen Bürgerentscheid zu lösen. Oder den Bürgerinnen und Bürgern sechs Wochen Zeit zu lassen, ein Bürgerbegehren einzureichen – um den Ball an die anderen zurückzuspielen.
In der Zwischenzeit hätte er sich mit der Bürgerinitiative auf einen Fahrplan von Informationsveranstaltungen einigen können. Der Ablauf wäre gewesen wie er jetzt ist, mit dem Unterschied, dass der Bürgerentscheid aktuell bereits durchgeführt worden wäre und ein eindeutiges, basisdemokratisches Ergebnis vorliegt.
Der aktuelle Stand ist bekanntlich ein anderer: Die Positionen sind verhärtet, es droht ein Rechtsstreit, der lange andauern kann. Es entstehen unnötige Kosten und eine schlechte Stimmung. Veranwortlich: Oberbürgermeister Heiner Bernhard und die Mehrheit des Gemeinderats, die dem Volk ebenfalls nichts zutraut.
Information Bürgerentscheid
Die Einzelheiten sind in Paragraf 21 der Gemeindeordnung geregelt.
Bürgerentscheide müssen mit einer zwei Drittel Mehrheit durch den Gemeinderat beschlossen werden. Der Gemeinderat kann dies aus seiner Mitte heraus beantragen und beschließen, Bürger haben die Möglichkeit, über ein Bürgerbegehren einen solchen Entschluss zu beantragen.
Damit ein Bürgerentscheid erfolgreich ist, muss er ein Quorum erfüllen. Mindestens 25 Prozent der wahlberechtigten Bürger müssen ihre Stimme abgeben – sonst gilt der Bürgerentscheid als nicht erfolgreich. Erst ab diesem Quorum entscheidet dann die jeweilige Mehrheit.
Die meisten Bürgerbegehren scheitern an den zu hohen Hürden: Negativkatalog (siehe GemO), zu kurze Zeitfristen, Quorum sind die wesentlichen Hindernisse.
Anmerkung der Redaktion: Neues aus der Region und Tegernseer Stimme gehören zum bundesweiten Netzwerk istlokal.de, ein Zusammenschluss unabhängiger Lokalzeitungen im Internet.
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