Weinheim/Rhein-Neckar, 20. April 2013. (red/pro) Rund 170 von 230 geladenen Delegierten sind zum Bundesparteitag der NPD in Weinheim-Sulzbach eingetroffen. Gegen Mittag begann die Veranstaltung in der Gaststätte “Zum schwarzen Ochsen”. Die Polizei hat den Veranstaltungsort weiträumig abgeschirmt. Rund 250 Gegendemonstranten brachten ihren Unmut zum Ausdruck.
Von Hardy Prothmann
Im kleinen, beschaulichen Weinheimer Ortsteil Sulzbach ist heute alles anders als sonst. Die normalerweise stark befahrene B3 ist vom südlichen Ortseingang bis zur Ortsmitte komplett “verkehrsberuhigt”. Nur selten fährt ein Auto, Einwohner werden durch die Sperren gelassen. Kaum jemand ist auf der Straße – bis auf jede Menge Polizisten – an der Absperrung und in den seitlichen Straßen. Es ist gespenstisch ruhig. Aus manchen Fenstern gucken Anwohner auf das, was passiert. Ein Spektakel ohne Spektakel.
Ausgerechnt an Hitlers Geburtstag
Überall stehen Einsatzwagen, mehrere Hundertschaften sind heute und morgen hier im Einsatz. Der Grund: Die rechtsextreme NPD hält mitten im Ort in der Gaststätte “Zum Schwarzen Ochsen” ihren Bundesparteitag ab. 172 von 231 geladenen Delegierten sind gekommen.
Rund 250 Gegendemonstranten bringen am späten Vormittag ihren Unmut an der Straßensperre zum Ausdruck:
Des braune Gezocks braucht hier känner,
schimpft ein älterer Herr in breitem Dialekt. Ausgerechnet am 20. April, Hitlers Geburtstag, tagen die Rechtsextremen an der Bergstraße in Nordbaden.
Die braunen Schatten der Vergangenheit
Ausgerechnet in Weinheim. Die Nationalsozialisten feierten hier große Wahlerfolge. Nach der “Machtergreifung 1933″ erhielt die NSDAP hier 46,2 Prozent. 1976 wurde der mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilte Nazi Günter Deckert in den Weinheimer Gemeinderat gewählt. Von 1989 bis 1999 war er zudem Kreisrat. Zuletzt wurde er 2012 zu einer sechsmonatige Gefägnisstrafe verurteilt. Zwar hat ihn die NPD mittlerweile ausgeschlossen, aber Weinheim bleibt ein wichtiger Stützpunkt für die Nazis: Vor kurzem wurde der Weinheimer Jan Jaeschke in den Landesvorstand gewählt. Jaeschke ist zudem Kreisvorsitzender Rhein-Neckar und zeigt sich seit geraumer Zeit sehr aktiv in der Planung und Durchführung von NPD-Veranstaltungen nicht nur im öffentlichen Raum. Die Organisation des Weinheimer Parteitags dürfte bei ihm liegen.
Entsetzen über Gastwirt
In größeren Gruppen werden immer wieder Rechtsextreme zum “Schwarzen Ochsen” geleitet – der Parteitag beginnt gegen Mittag, 172 von 231 geladenen Delegierten sind gekommen. Hier gibt es einen Saal für bis zu 200 Teilnehmer und der frühere Besitzer Adam Gassner wollte bei der vergangenen Kommunalwahl 2009 über die Liste der freien Wählergruppe Weinheim Plus für den Gemeinderat kandidieren. Nachdem Weinheim Plus allerdings festgestellt hatte, dass Gassner dem rechten Spektrum zuzuordnen ist, wurde er nicht aufgestellt. Altdeutsche Schriften, ein Schrotthaufen von “Lieferfahrzeug” und ein baufälliger Eindruck verschaffen dem Lokal einen dumpf-armseligen Eindruck. Zwei Tage wird die “geschlossene Gesellschaft” der Nazi aus ganz Deutschland hier tagen.
Der Sohn Roman Gassner argumentierte auf Nachfragen, man brauche das Geld aus der Saalmiete und der Bewirtung. Insgesamt heißt es, laufe die Wirtschaft nicht besonders. Die jetzt benötigten Einnahmen könnten komplett versiegen – auf der Gästeseite machen sich dutzende Kommentatoren Luft und kündigen an, die Gastronomie künftig zu meiden. Ein Gegendemonstrant sagt auf der Straße:
Die könne sisch glei in Braune Ochse umbenenne, misch sehe die dort nimmi.
Bürger protestieren
Rund 250 Gegendemonstranten sind gekommen – überwiegend “normale Leute”, aus dem bürgerlichen Lager. Vom Ort. Sportvereine und die Kirchen haben am Morgen mobilisiert. Der Weinheimer Teilort zeigt damit seinen Unwillen über das braune Gespenst im Dorf. Stadträte von Grünen, SPD und Die Linke hatten schon gestern Abend über email, Telefon und Facebook zum Widerstand aufgerufen. Heute kamen dann neben Vertretern von Weinheim Plus sogar CDU-Parteimitglieder – es waren ja auch kaum linke Autonome zugegen. Wenige zugereiste machten sich aus der Umgebung auf den Weg, Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier beispielsweise aus Mannheim: “Ich bin fünf Kilometer marschiert, weil die Polizei alles dicht gemacht hat.”
Heute ruhig – und morgen?
Polizeisprecher Norbert Schätzle sagt, man habe kurzfristig vom Veranstaltungsort erfahren und starke Kräfte mobilisiert:
Ob die NPD wirklich hier in Sulzbach tagen würde, war noch am Morgen unklar. Jetzt gehen wir davon aus, dass die Veranstaltung auch morgen stattfindet. Heute war alles sehr ruhig, waren ja auch nur brave Bürger da, mal schauen, wie es morgen wird.
Für Sonntag haben autonome und linke Gruppen zu einer Kundgebung aufgerufen. Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) passt die NPD im Ort gar nicht:
Weinheim ist bunt und nicht braun. Wir brauchen die hier nicht und sehen sie wenn, am liebsten von hinten. Aber wir können nichts gegen diese Versammlung unternehmen, die findet auf Privatgelände statt. Da sind uns die Hände gebunden.
“Seriöse Radikalität”
Die Veranstaltung erregt die Gemüter. Dabei ist die NPD in einem ähnlich maroden Zustand wie der “Schwarze Ochse”. Die rechtsextreme Partei kämpft seit einigen Monaten mit einem enormen Bedeutungsverlust, sagt Roland Sieber, freier Journalist (Publikative.org, Störmelder von Zeit online und Netz-gegen-Nazis.de) und bis 2009 selbst in zahlreichen Projekten in der Region gegen Nazis tätig:
Die von Parteichef Holger Apfel ausgerufene „seriöse Radikalität“ scheint vielen Anhängern zu sanft. Die neonazistische Partei sitzt nur noch in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern in den Landtagen und selbst in diesen Hochburgen ist der Wiedereinzug fraglich.
Bei der vergangenen Landtagswahl in Niedersachsen schaffte die Partei noch nicht einmal den Sprung über die Ein-Prozent-Hürde für staatliche Wahlkampfkostenerstattung. Wegen Fehlern im Rechenschaftsbericht 2007 muss die sowieso schon finanziell angeschlagene Splitterpartei zudem eine Strafe in Höhe von 1,27 Millionen Euro an den Bundestag zahlen, schildert Sieber den Zustand der Partei. Gebeutelt von internen persönlichen und politischen Querelen wanderten radikale Parteikräfte mit ihren Kameradschaften und Aktionsbündnissen unter das Parteidach von Christian Worchs „Die Rechte“ oder schließen sich den aktionsorientierten „Identitären“ an. Derweil suchen parteiorientierte Mitglieder ihre politische Zukunft bei Konkurrenzparteien wie „Pro NRW“, DVU und in der jungen Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“, so Sieber.
Marode NPD
Der Zustand der NPD scheint also marode. Andererseits hat sich die NPD gerade in der Metropolregion in den vergangenen zwei Jahren sehr aktiv gezeigt und immerhin eine Demonstration mit 300 Teilnehmern in Mannheim aufstellen können. Insbesondere junge Leute will man ansprechen. H8, Moderator beim faschistischen Internetradio FSN (frei, sozial, national) kommentiert im Livestream um 14:00 Uhr über die Jungen Nationalen:
JN in allen Bereichen mit aufsteigender Tendenz, sowohl finanziell als auch bei den Mitgliederzahlen. Frontdienst, Geschäftsstelle und Netzseite wurden umgebaut bzw. verlegt.
Ziel des Parteitags ist die Neuwahl des Vorstands. Parteichef Holger Apfel hat die Wahl um ein halbes Jahr vorgezogen, wohl, um aktuell für weitere zwei Jahre an der Macht zu bleiben. So gibt es bis in den späten Nachmittag Rechechenschaftsberichte. Die Botschaft: Probleme allerorten.
Die schlechten Nachrichten, die sich die “Kameraden” da anhören müssen, sind gute Nachrichten für die Demokratie – wenn die NPD weiter so verfällt, ist ein Verbotsverfahren Makulatur. Andererseits bedeutet das nicht das Ende von Ausländfeindlichkeit und Rassismus, Menschenverachtung und totalitären Einstellungen – wie der Experte Sieber weiß, organisieren sich viele Rechtsextreme mittlerweile fernab der Parteienlandschaft und deren aufwändigen Verfahren wie einem Bundesparteitag, der nichts anderes ist als eine Vereinshauptversammlung mit endlosen Rechenschaftsberichten.
Noch aber gibt es die NPD und die tagt im verschlafenen Sulzbach, das aktuell hellwach ist und sich fragt, was der Tag morgen bringen wird. Ab 11 Uhr wollen die Nazis weitertagen. Ob der Parteivorsitzende am Ende immer noch Holger Apfel heißt, ist unklar. Und ob es den Schwarzen Ochsen noch lange geben wird, darf bezweifelt werden – schon gibt es Hinweise, dass es bereits einige NPD-Veranstaltungen hier gegeben hat. Soviel ist sicher: Die Anwohner der B 3 verbringen einen autofreien Sonntag – zumindest vom südlichen Ortseingang bis in den Ortskern.
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