Weinheim, 04. November 2011. (red) Am 19. Oktober 2011 hat der Gemeinderat mehrheitlich den Flächentausch Hammelsbrunnen-Breitwiesen beschlossen. Die Gegner der Bebauung lassen nicht locker und haben nun ein Bürgerbegehren gestartet. Eine schwierige Aufgabe. Zudem ist unklar, ob überhaupt ein Bürgerbegehren möglich ist – spannend wird hierzu die Haltung der Verwaltung sein. Sie müssen innerhalb von sechs Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses genau 2.500 Stimmen sammeln. Es gibt viele Gerüchte – hier sind die Fakten.
Auf einer Pressekonferenz am Freitagmorgen gaben die Vorsitzenden des Bauernverbands, Fritz Pfrang und Karl Bär, sowie die Stadträtinnen Elisabeth Kramer (GAL) und Susanne Tröscher (CDU) und der Stadtrat und Landtagsabgeordnete Uli Sckerl (Bündnis90/Die Grünen) ihre Entscheidung bekannt.
Der Text des Bürgerbegehrens lautet:
Bürgerbegehren “Schützt die Weinheimer Breitwiesen“
Antrag:
Die Unterzeichnenden beantragen einen Bürgerentscheid über die Frage:
Sind Sie dafür, dass im Bereich „Breitwiesen“ die Ausweisung von Gewerbeflächen unterbleibt?
Begründung:
Der Gemeinderat der Stadt Weinheim hat sich am 19. Oktober 2011 für eine Änderung des Flächennutzungsplans ausgesprochen. Dadurch sollen im Bereich „Breitwiesen“ im Wege der Verschiebung von Gewerbeflächen wertvolle landwirtschaftliche Anbauflächen in Baugelände für gewerbliche Ansiedlungen umgewandelt werden. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung, auf Stadtbild, Umwelt und Klima sowie für die Zukunft unserer Landwirte. Wegen dieser erheblichen Bedeutung soll die Entscheidung mittels eines Bürgerentscheids von den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Weinheim getroffen werden.
Kostendeckung gem. § 21 Abs. 3 Satz 4 GemO: entfällt. Die Unterzeichnenden berechtigen die unten genannten Vertrauenspersonen, das benannte Bürgerbegehren zu vertreten und im Falle eines Kompromisses zurückzunehmen oder abzuändern, soweit dies für die Zulässigkeit erforderlich ist. Des Weiteren werden alle zukünftigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens berechtigt, die auf dieser Liste bereits eingeschriebenen Daten einzusehen.
Das Bündnis gegen die Breitwiesen-Bebauung ist also überparteilich besetzt und wird von den Juristinnen Ingrid Hagenbruch und Andrea Reister unterstützt (bekannt aus dem “Bündnis für Weinheim”).
In einer ersten Unterschriftenaktion hatten die Breitwiesen-Gegner bereits knapp 2.000 Unterschriften als Protestnote gesammelt. Diese gelten nicht mehr – die erforderlichen 2.500 Unterschriften müssen neu auf den Listen zum Bürgerbegehren geleistet werden.
Sollte dies gelingen, kommt das Bürgerbegehren als Tagesordnungspunkt in den Gemeinderat. Der entscheidet über die Zulässigkeit. Wird diese bestätigt folgt ein Bürgerentscheid, bei dem 25 Prozent der wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner ihre Stimme abgeben müssen. Ist dies der Fall, entscheidet die jeweilige Mehrheit über das Ergebnis auf eine “Ja/Nein”-Frage. Wird die Mehrheit nicht erreicht, trifft der Gemeinderat die letztgültige Entscheidung.
Fraglich ist, ob das Bürgerbegehren zulässig ist. Würde es es sich um einen “klassischen” Aufstellungsbeschluss handeln, wäre die Frage entschieden. Gegen einen solchen kann nach Auffassung des VGH Mannheim (Urteil “Rheinstetten”) nach der Gesetzeslage kein Bürgerbegehren und auch kein Bürgerentscheid stattfinden.
Hier gilt eine so genannte “Negativliste”.
§ 21
Bürgerentscheid, Bürgerbegehren
(1) Der Gemeinderat kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass eine Angelegenheit des Wirkungskreises der Gemeinde, für die der Gemeinderat zuständig ist, der Entscheidung der Bürger unterstellt wird (Bürgerentscheid).(2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über
1. Weisungsaufgaben und Angelegenheiten, die kraft Gesetzes dem Bürgermeister obliegen,
2. Fragen der inneren Organisation der Gemeindeverwaltung,
3. die Rechtsverhältnisse der Gemeinderäte, des Bürgermeisters und der Gemeindebediensteten,
4. die Haushaltssatzung einschließlich der Wirtschaftspläne der Eigenbetriebe sowie die Kommunalabgaben, Tarife und Entgelte,
5. die Feststellung des Jahresabschlusses und des Gesamtabschlusses der Gemeinde und der Jahresabschlüsse der Eigenbetriebe,
6. Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften sowie über
7. Entscheidungen in Rechtsmittelverfahren.
Man darf gespannt auf die Haltung von Oberbürgermeister Heiner Bernhard sein. Der hatte die Unterschriftenleister als “schlecht informierte Bürger” betitelt, die “gar nicht gewusst haben, was sie da unterschreiben” – aus Sicht der Gegner eine “Unerhörtheit”, wie Elisabeth Kramer betont.
Sicherlich wird rechtlich von der Stadt geprüft werden, ob der “Aufstellungsbeschluss” zu einer Änderung des Flächennutzungsplans gleichbedeutend mit einer “Bauleitplanung” ist. In der Zusammenfassung nennt die Stadt den Beschluss “Aufstellungsverfahren” und stellt den Sachverhalt so dar:
4. 8. Änderung des Flächennutzungsplans zur Vollziehung einer flächengleichen
Verschiebung gewerblicher Bauflächen vom Gewann „Hammelsbrunnen“ am
Kreiskrankenhaus in das Gewann „Breitwiesen“ nordöstlich des Autobahnkreuzes
Weinheim
hier: Aufstellungsbeschluss
Der Gemeinderat beschließt mehrheitlich:
Für die in der Anlage der Sitzungsvorlage gekennzeichneten Bereiche im Gewann „Hammelsbrunnen“ zwischen B 38, Westtangente und Mannheimer Straße sowie im Gewann „Breitwiesen“ nordöstlich des Autobahnkreuzes Weinheim und südlich des Brunnwegs wird die Aufstellung der 8. Änderung des Flächennutzungsplans für den Bereich „Hammelsbrunnen / Breitwiesen“ beschlossen. Ziel der Planung ist eine Verschiebung der gewerblichen Bauflächen vom Gewann „Hammelsbrunnen“ in das Gewann „Breitwiesen“. Eine sich aus städtebaulichen Erfordernissen ergebende Anpassung des des räumlichen Umgriffs der Flächennutzungsplanänderung bleibt vorbehalten.
Sollte die Stadt die Auffassung vertreten, dass es sich auch hierbei um einen “bauleitplanerischen” Aufstellungsbeschluss handelt, würde es brenzlig für Oberbürgermeister Heiner Bernhard. Der hatte mehrmals gegenüber dem Gemeinderat klar betont: “Durch diesen Beschluss ist noch gar nichts entschieden.” Sollte dem nicht so sein, wäre das eine glatte Lüge in aller Öffentlichkeit gewesen.
Fest steht, dass der OB den Flächentausch unter Druck durchbekommen wollte – eine mehr als fragwürdige Entscheidung.
Die Bürgerinitiative jedenfalls gibt sich entschlossen und klagebereit: “Rheinstetten ist ein anderer Fall, sagen unsere juristischen Berater. Wir sind guter Hoffnung, dass wir mit einer Klage durchkommen. Aber darum geht es jetzt nicht – sondern um 2.500 Stimmen für ein Bürgerbegehren. Das ist ein demokratisches Verfahren und wir sind sehr gespannt, wie die Verwaltung darauf reagiert”, sagte Elisabeth Kramer auf unsere Anfrage hin.
Eine erste Stellungnahme kam sehr flott kurz vor 13:00 Uhr:
“Die Stadtverwaltung Weinheim respektiert selbstverständlich die Bemühungen, über ein Bürgerbegehren einen Bürgerentscheid herbeizuführen. Ein solcher Weg ist ja ausdrücklich in der Gemeindeordnung vorgesehen und daher auch das gute Recht jedes Bürgers. Da die Zulassung eines solchen Bürgerentscheides im Gesetz genau geregelt ist, wird es die Aufgabe der Stadtverwaltung sein, diese Kriterien auch genau zu prüfen. Das kann aber erst geschehen, wenn das Bürgerbegehren vorliegt, bzw. wenn die erforderliche Zahl von Unterschriften erreicht ist.”
Unverständlich ist, wieso die Initiatoren sich selbst angesichts der in der Verfassung genannten sehr kurzen Frist von sechs Wochen selbst beschränken:
” richtet es sich gegen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein. “
Sechs Wochen sind genau sechs Wochen. Kein Tag mehr, keiner weniger. Das ist die Frist, die gilt, bis zum Ablauftag 24:oo Uhr nachts. Der Beschluss wurde am 19. Oktober gefasst. Wäre er am 20. Oktober 2011 verkündet worden, wäre das der “Starttag” laut “Bekanntmachungssatzung” der Stadt Weinheim:
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Form der öffentlichen Bekanntmachungen
1. Öffentliche Bekanntmachungen der Stadt Weinheim ergehen, soweit gesetzliche Vorschriften nichts anderes bestimmen, durch einmaliges Einrücken des vollen Wortlautes der Bekanntmachungen in den „Weinheimer Nachrichten“.
2. Als Tag der Bekanntmachung gilt der jeweilige Ausgabetag der „Weinheimer Nachrichten“.”
Der “Zieltag” wäre demnach Donnerstag, der 1. Dezember 2011, 24 Uhr nachts. Die Initiatoren rufen aber zur Stimmabgabe bis zum 28. November 2011 auf und “verschenken” damit volle drei Tage der insgesamt sehr kurzen Frist.
Nach unserer vorläufigen Recherche ist der Beschluss noch nicht veröffentlicht worden. Dies konnten wir aber nur nicht gesichert feststellen – sobald wir genaue Kenntnis einer eventuell bereits vorgenommenen Veröffentlichung haben, korrigieren wir diese Stelle. Sollte es zutreffen, dass es noch keine Veröffentlichung gegeben hat, würde die Frist mindestens bis 17. Dezember 2011 laufen.
Dem Weinheimblog.de gegenüber bestätigte Oberbürgermeister Heiner Bernhard vor kurzem, dass das amerikanische Versandhaus Amazon.de Interesse angemeldet habe. Die Rede ist von einem 20 Hektar großen Logistikzentrum.
Durch den Flächentausch würden im Gewann Breitwiesen rund 42,5 Hektor Gewerbegebiet entstehen können. Die Landwirte um Fritz Pfrang und Karl Bär geben sich kämpferisch: Rund 7,8 Hektar verstreutes Gelände im Gewann gehört Bauern, die angeblich nicht verkaufen wollen. Das dautet auf eine schwierige und lange Auseinandersetzung hin.
Unsere Anfrage bei Amazon und eine Gesprächsbitte vom 25. Oktober 2011, beantwortete die Pressestelle heute, elf Tage später, spartanisch kurz:
“Amazon hat zu diesem Thema keinerlei Veröffentlichung vorgenommen, daher kann ich Sie hier leider nicht unterstützen. Wir bitten um Verständnis, dass wir zu Spekulationen keine Stellung nehmen.”
Spekuliert wird unter anderem auch, ob Amazon eventuell Interesse an dem unter großem Widerstand mittlerweile entwickelten Heddesheimer “Pfenning”-Gebiet haben könnte (siehe aktuell 366 Artikel dazu auf dem heddesheimblog.de).
Dort wurde 2009 die Planung für ein 20 Hektar großes Logistikgelände bekannt. Der Streit darum hat den Ort in zwei Lager gespalten. Versprochen wurden Arbeitsplätze und erhebliche Gewerbesteuerzahlungen. Im Herbst 2010 wurde der Bebauungsplan verabschiedet. Bislang gibt es allerdings keinerlei Anzeichen von Bauaktivitäten.
Weitere Infos:
Die Initiative informiert auf einem Blog.
Unterschriftenlisten liegen hier aus:
Fritz Pfrang auf dem Bauernmarkt
Café Wolf am Rodensteiner Brunnen
Buchhandlung Hukelum am Rodensteiner Brunnen, Hauptstraße 21
Bauernhof Raffl / Törggelestube
Bauernladen Rauch, Bertleinsbrücke
Hallo!
Endlich – ich warte schon lange drauf, dass ihr endlich richtig zubeißt!
Ich finde die Berichte hier sehr informativ, aber ich habe vermisst, was ich vom heddesheimblog kenne. Knallharten Journalismus, der ohne jeden Kompromiss aufschreibt, was wichtig ist. Erste Ansätze waren immer da, aber jetzt scheint es auch in Weinheim loszugehen!!!
Gut so! Macht bitte weiter. Was die Zeitung bietet, ist ja kaum zu ertragne.
Werde den Artikel gleich weiterempfehlen und bin schon mal gespannt, was die WN bringen – ganz sicher nicht so ein fundiertes Stück wie das hier. Wenn die initiative tatsächlich Mist gebaut hat mit der Frist, wäre das echt der Hammer!!! Bin schon mal gespannt – Recherhce ist ja noch offen. Hoffentlich korrigieren die das, wenn es so zutrifft.
Weiter so! Solchen Journalismus braucht jeder Ort!
Der Weststädtler
Hallo,
wollte nur darauf hinweisen, daß der Gesetzgeber und auch die Gerichte die so genannte Negativliste DEUTLICH RELATIVIERT haben.
Grundsatzentscheidungen zur Gemeindeentwicklung im Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens sind gerade nicht vom Negativkatalog des § 21 Abs. 2 Nr. 6 GemO erfasst.
“Die Bevölkerung soll grundsätzliche Sachentscheidungen und Richtungsentscheidungen zur Bauleitplanung treffen können.”
Quelle : Antwort des Landesregierung BW auf eine Große Anfrage der Fraktion GRÜNE, LT-Drs. 14/2311, S. 8 (Landtagsdrucksache abrufbar unter http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/2000/14_2311_D.PDF).
Ich würde bergrüßen, wenn in Weinheim diskutiert werden würde, was der Bürger und deren Repräsentanten in den Kommunalparlamenten entscheiden können. Wir brauchen hier eine “POSITIVLISTE” und m.E. könnte auch von den sogenannten kommunalen Spitzenverbänden deutlich mehr kommen.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Lautenschläger
StR Weinheim Plus
Guten Tag,
dabei ist es leider nicht geblieben.
VGH Baden-Württemberg, 20.03.2009 – 1 S 419/09 B
“Dies schließt nicht aus, dass Grundsatzentscheidungen zur Gemeindeentwicklung im Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zum Gegen- stand eines Bürgerentscheids gemacht werden können (vgl. LT-Drs. 13/4385, wonach Grundsatzentscheidungen im Vorfeld eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zur Gemeindeentwicklung davon nicht berührt sind (siehe auch Antwort des Landesregierung auf eine Große Anfrage der Fraktion GRÜNE, LT-Drs. 14/2311, S. 8). Diese der Bauleitplanung vorgelagerte Phase dürfte aber durch den Aufstellungsbeschluss nach § 2 Abs. 1 BauGB beendet sein, denn spätestens mit diesem Beschluss wird das förmliche Bauleitplanverfahren eingeleitet (Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB § 2 RdNr. 26). Danach kommt ab dem Zeitpunkt (der Bekanntgabe) des Aufstellungsbeschlusses nach § 2 Abs. 1 BauGB ein Bürgerentscheid nicht mehr in Betracht.”
Dieser Passus aus dem Urteil zum Bürgerbegehren im Zusammenhang mit dem EDEKA Fleischwerk in Rheinstetten bedeutet in der Praxis, daß der Bürger in dem Moment, in dem er über ein geplantes Bauprojekt offiziell informiert wird, bereits keine Möglichkeit mehr hat, seine Meinung in einem Bürgerbegehren oder Bürgerentscheid zum Ausdruck zu bringen.
In der Verwaltungspraxis ist meist bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Aufstellungsbeschluß auf der Tagesordnung des Stadt- oder Gemeinderates steht, die Beratung solcher Bauabsichten nichtöffentlich und geheim.
Die Verwaltung tritt mit dem Tagesordnungspunkt “Aufstellungsbeschluß” meist überhaupt erstmalig mit einem solchen Bauansinnen an die Öffentlichkeit – und in dem Moment ist der Bürger nach geltender Rechtsprechung schon draußen aus dem Verfahren und außen vor.
Er müßte daher in der entsprechenden Ratssitzung aufspringen und laut und vernehmlich vor oder bei diesem Tagesordnungspunkt seinen Wunsch, gefragt zu werden deutlich machen.
Sie können sich vorstellen was passiert.
Trotzdem einen schönen Tag noch.