Weinheim, 25. Mai 2012. (red) Oberbürgermeister Heiner Bernhard rückt von seiner Widerspruchshaltung ab und kündigt erstmals exklusiv auf unsere Nachfrage hin an, sich im Falle einer Gemeindratsentscheidung für einen Bürgerentscheid in Sachen Breitwiesen an dieses Votum zu binden und keinen Einspruch einzulegen. Als Erklärung sagt er, durch den Dialogprozess hätten sich die “Grundvoraussetzungen” geändert.
In der Aprilsitzung hatte der Oberbürgermeister noch deutlich gemacht, dass er einem Gemeinderatsbeschluss auf Bürgerentscheid widersprechen müsse, weil nach seiner Rechtsauffassung ein Bürgerentscheid gegen eine Bauleitplanung rechtswidrig sei. Daraufhin beschloss der Gemeinderat ein Dialogverfahren durchzuführen und die Entscheidung erst im September zu fällen. Juristisch hat sich nichts geändert – wohl aber die Haltung des OB. Der Druck der fast 5.000 Unterzeichner wirkt also.
Interview: Hardy Prothmann
Sie haben deutlich gemacht, dass Sie einer Entscheidung des Gemeinderats für einen Bürgerentscheid in Sachen Breitwiesen Ihr Bürgermeister-Veto einlegen würden. Nun soll der Bürgerdialog als Vorbereitung für den Gemeinderat dienen, um danach über einen Bürgerentscheid zu befinden. Wenn wir Sie richtig verstanden haben, werden Sie bei einem Beschluss für einen Bürgerentscheid dann auch Ihr Veto einlegen müssen, denn Sie haben ja betont, dass Sie sich “rechtlich gezwungen” sehen.
Heiner Bernhard: Dann haben Sie mich nicht richtig verstanden. Die Gemeinderatsentscheidung vom März lautet ja, dass das Dialogverfahren einen Bürgerentscheid als Ziel hat. Das war sogar unser Vorschlag, selbstverständlich respektiere ich das. Die Grundvoraussetzungen sind völlig andere nach einem Dialogverfahren. Ich möchte nur nochmal darauf hinweisen, dass die große Mehrheit der Kommunen in Baden-Württemberg einen Bürgerentscheid für unzulässig erklärt hätte und in der Planung einfach weiter vorangeschritten wäre. Das haben wir nicht gemacht, wir wollen mit den Bürgern reden und sie einbinden.
Das heißt, Sie werden definitiv einem Gemeinderatsbeschluss auf Bürgerentscheid nicht widersprechen, wenn so entschieden werden sollte?
Bernhard: Ich habe es nicht vor.
Was ist aus den rechtlich zwingenden Gründen geworden?
Bernhard: Die Situation ist durch das Dialogverfahren neu zu bewerten. Ich halte es auch nicht für zielführend, sich noch Monate lang über eine in Mehrheit getroffene Gemeinderatsentscheidung zu unterhalten. Mit dem Bürgerdialog steigen wir in ein neues Bürgerbeteiligungsverfahren ein, darin sollten wir gemeinsam das Ziel suchen statt alte Gräben tiefer zu schaufeln als sie sind.
Wir wollen eine Teilung der Stadt vermeiden.
Welchen Sinn macht unter diesen Voraussetzungen der Bürgerdialog?
Bernhard: Er macht den entscheidenden Sinn, gegenseitig Akzeptanz zu erzeugen. Er ist die Möglichkeit des qualifizierten Austauschs und der Konsensfindung – und damit die Chance, dass der Ausgang eines Bürgerentscheids auch wirklich von der großen Mehrheit der Stadtgesellschaft getragen werden kann. Das ist nämlich häufig nicht der Fall. Ein Thema ist dann zwar entschieden, aber die Stadt ist geteilt. Das wollen wir vermeiden.
Verschiedene Teilnehmer äußerten sich nach der ersten Runde kritisierend. Wie beurteilen Sie die erste Veranstaltung?
Bernhard: Überwiegend konstruktiv, von Prof. Lietzmann hochprofessionell geleitet. Von den Vertretern der Bürgerinitiative hätte ich mir etwas mehr Unvoreingenommenheit gewünscht. Man sollte nicht vergessen. Wir machen in Weinheim gerade etwas, was woanders von Bürgerinitiativen gefordert wird.
Im Vorfeld wurde die Besetzung der ersten Runde kritisiert – Gegner der Ansiedlung seien unterrepräsentiert gewesen. Nach unseren Informationen wurden dann weitere Teilnehmer zugelassen.
Bernhard: Diese Fehlinformation wurde leider wider besseres Wissen gestreut und von einigen Medien einfach so übernommen, das war nicht fair. Aber ich bin guter Hoffnung, dass im weiteren Verlauf des Verfahrens die Sachlichkeit überwiegen wird.
Wir wüssten gerne, welche Gruppen die Verwaltung eingeladen hat und welche “nachgemeldet” wurden.
Bernhard: Das entzieht sich meiner Kenntnis. Die methodischen Vorgänge werden auftragsgemäß ausschließlich von der Forschungsstelle übernommen, ohne unseren Einfluss.
Dokumentation: In der Gemeindeordnung ist in §43 das Widerspruchsverfahren geregelt.
(1) Der Bürgermeister bereitet die Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse vor und vollzieht die Beschlüsse.
(2) Der Bürgermeister muß Beschlüssen des Gemeinderats widersprechen, wenn er der Auffassung ist, daß sie gesetzwidrig sind; er kann widersprechen, wenn er der Auffassung ist, daß sie für die Gemeinde nachteilig sind. Der Widerspruch muß unverzüglich, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Beschlußfassung gegenüber den Gemeinderäten ausgesprochen werden. Der Widerspruch hat aufschiebende Wirkung. Gleichzeitig ist unter Angabe der Widerspruchsgründe eine Sitzung einzuberufen, in der erneut über die Angelegenheit zu beschließen ist; diese Sitzung hat spätestens drei Wochen nach der ersten Sitzung stattzufinden. Ist nach Ansicht des Bürgermeisters auch der neue Beschluß gesetzwidrig, muß er ihm erneut widersprechen und unverzüglich die Entscheidung der Rechtsaufsichtsbehörde herbeiführen.
Hintergrund:
Nach dem Baugesetzbuch sind Bürgerentscheide gegen Bauleitplanungen und Aufstellungsbeschlüsse nicht zulässig. Dazu hatte der Verwaltungsgerichtshof im Fall Rheinstetten entschieden. Unklar ist allerdings, ob dies auch für einen Aufstellungsbeschluss in einem Raumordnungsverfahren gilt. Diese juristische Frage ist noch nicht durch Gerichte entschieden worden. Im Fall Breiwiesen hat der Gemeinderat im Oktober 2011 den Aufstellungsbeschluss gefasst, das Gebiet Hammelsbrunnen gegen das Gebiet Breitwiesen zu tauschen und die Breitwiesen als mögliches Gewerbegebiet zu favorisieren.
Dagegen hat sich eine Bürgerinitiative gebildet, die im November mit fast 5.000 Stimmen ein Bürgerbegehren eingeleitet hat. Der Gemeinderat muss dann beschließen, ob dieses zulässig ist oder nicht. Wenn es zulässig ist, erfolgt ein Bürgerentscheid, der mit einer einfachen Ja-Nein-Frage entschieden werden muss.
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