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Mittwoch, 28. August 2013

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Breitwiesen: Gemeinderatsmehrheit lehnt Bürgerentscheid als unzulässig ab

Bürgerbeteiligung verliert, Bernhard gewinnt

Großes Theater oder Trauerfeier? Am Mittwoch, den 26. September 2012, wurde das Kapitel “Bürgerbeteiligung” in Weinheim vorerst von einer Mehrheit des Gemeinderats zu Grabe getragen.

 

Weinheim, 26. September 2012. (red) Dass es so ausgehen würde, wie der Stand vor fast einem Jahr war, damit hatten wohl die wenigsten gerechnet. Die Mehrheit des Gemeinderats hat drei mögliche Bürgerentscheid-Fragestellung abgelehnt und dann inklusive Oberbürgermeister das Bürgerbegehren für unzulässig erklärt. Damit wird es zunächst keinen Bürgerentscheid geben und die Fläche Hammelsbrunnen wird gegen die Fläche Breitwiesen im Regionalplan getauscht. Das letzte Wort dürfte das noch nicht sein – das wird vor Gericht gesprochen. Die Untätigkeitsklage läuft weiter.

Von Hardy Prothmann

Die Gemeinderatsmehrheit aus CDU, Freien Wähler, SPD und FDP hat heute eine politische Lektion erteilt bekommen. Vom Oberbürgermeister Heiner Bernhard höchst persönlich. Chapeau.

Zweieinhalb Stunden dauerten Beratung und Diskussion, die weder beratend war noch dem Austausch von Argumenten diente. Alle Fraktionen unterstrichen ihre bekannten Positionen. Hier und da wurden die Bürgergutachten ein wenig eingeflochten, aber im Kern ging es um: “Hammelsbrunnen ist schlecht zu entwickeln und am Krankenhaus und Breitwiesen ist einfach zu entwickeln und an der Autobahn” gegen das Argument “Breitwiesen ist ein wichtiges landwirtschaftliches Versorgungsgebiet und Hammelsbrunnen muss man auch nicht bebauen”.

Die scheinbare Metarmophose des Herrn B.

Den Chapeau erhält Herr Bernhard für seine Vorstellung und seine scheinbare Metamorphose. Hatte er vor knapp einem Jahr den Gemeinderat noch heftig mit einer “Jetzt-oder-Nie”-Darstellung zur Entscheidung genötigt, stellte sich aktuell raus, dass das nur Blabla war. Denn der Regionalverband Rhein-Neckar wäre jetzt wegen eines Bürgerentscheids bereit gewesen die Entscheidung abzuwarten. Vor einem Jahr war das vollständig unvorstellbar. Wir erinnern uns:

Jetzt oder nie. Wir müssen das entscheiden, sonst steht Hammelsbrunnen im einheitlichen Regionalplan und das wars.

Die Mehrheit für den Aufstellungsbeschluss zum Flächentausch fand sich. Danach hatte der OB eine klar ablehnende Haltung gegen die Bürgerinitiative und eine ebensoklare Überzeugung:

Das Bürgerbegehren ist unzulässig. Wenn der Gemeinderat einen Bürgerentscheid zulässt, muss ich meinen Einspruch einlegen.

Sozusagen aus Gewissensgründen als verantwortliches Stadtoberhaupt und in der Verneigung vor dem Recht. Gutachten wurden eingeholt  – klar waren sie unterschiedlich. Bernhard ist nicht umsonst Oberbürgermeister – er hat politisches Gespür und merkte, dass es nicht gut läuft. Vielleicht war auch Unsicherheit dabei, ob die Rechtslage doch nicht so eindeutig ist. Deswegen wurde eine Entscheidung über ein Bürgerbegehren vertagt.

Verbeugen, um sich zur vollen Größe aufzurichten

Dann kam das Bürgerbeteiligungsverfahren. Herr des Verfahrens war zu jederzeit der Oberbürgermeister, der sich nun aber artig zurückhielt. Sich auf die Schulbank setzte und lobte, lobte, lobte. Sich zweifelnd und einsichtig zeigte, bis er dann bei uns im Interview exklusiv verkündete: Es wird einen Bürgerentscheid am Ende des Bürgerdialogverfahrens geben. Wo waren die rechtlichen Einwände? “Man muss sich der Situation beugen”, war die bescheidende Antwort.

Zwischenzeitlich hatten Unterzeichner des Bürgerentscheids Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht in Karlsruhe erhoben. Am 05. Juli 2012. Als wir vor zwei Tagen bei der Behörde nachfragten, lag zweieinhalb Monate nach Klageerhebung noch keine Stellungnahme der Stadt vor. Aussage des Richters: “Wir fordern das jetzt an.”

Dann wurden, ganz im Sinne des Bürgerbeteiligungmissverstehens dieses Gemeinderats, in der vergangenen Woche in nicht-öffentlicher Sitzung über drei Varianten von Fragen abgestimmt. Die ursprüngliche Frage der Bürgerinitiative als Variante C2, ob man für oder gegen die Bebauung von Breiwiesen sei. Und vor allem die Variante C3, ob man dafür sei, dass die Ausweisung von Gewerbeflächen im Bereich Breitwiesen unterbleibt und Hammelsbrunnen als Gewerbegebiet bleibt. Variante C1 spielte nicht wirklich eine Rolle. Es folgten Erklärungen und Positionen und ein wenig Diskussion.

Der Konsensuale

Und dann noch eine Überraschung: Hektische Sitzung am Montag, Pressemitteilung, man hätte ein “konsensuale Frage” abgestimmt. Und in der Sitzung ein Oberbürgermeister, der mit ernster Miene und eindringlicher Stimme anmahnte, dass man doch Befindlichkeit Befindlichkeit sein lassen sollte und nun endlich zu einer Entscheidung kommt, um die Stadt zu befrieden. Immer und immer wieder. Mit einer erstaunlichen Geduld:

Lasst uns doch diesen Weg gehen.

Wenn einer in der Öffentlichkeit sich für einen Bürgerentscheid eingesetzt hat, dann der Oberbürgermeister Bernhard. 50 Zuschauer waren Zeugen, ebenso wie die Presse. Volksnah, bürgernah, geläutert.

Ganz anders eine Frau Dr. König (CDU), die größte Zweifel hatte, ob der Bürger die komplexen Zusammenhänge verstehen könne. In den Reihen wurde geraunt: “Die hält sich wohl für schlauer als wir und uns für doof.” Oder ein SPD-Chef Metzeltin, der ellenlange Sätze schwadronierte um dann Bürgerbeteiligung als “positiv” zu werten, aber zu sagen:

Schließlich war es der Bürgerwille, dass wir als verantwortliche Vertreter gewählt worden sind.

Grünen-Stadtrat Uli Sckerl warb in nicht gerade häufiger Allianz mit dem OB für den Bürgerentscheid und falls kein Konsens gefunden werden könne, um eine Vertagung. Als klar war, dass das alles nichts werden würde, warf sich Bernhard erneut fürs Volk ins Zeug und warb, wenigstens die Variante C3 anzunehmen. Man könne dann immerhin die Bürgerinitiative doch nochmals fragen, ob sie das Bürgerbegehren für erledigt erklärt, die Klage zurückzieht und die Stadt, in Gottes Namen, die 2.500 Euro Kosten übernimmt.

Mehrheitliche Angst vor dem Urteilsvermögen der Bürger

Dann wurde die Sitzung unterbrochen, die Fraktionen berieten sich. Dann kam es zur Abstimmung. Erster Antrag, weil am weitesten von einem Konsens entfernt, der von der BI. Abgelehnt. Dann C3. Abgelehnt – auch gegen den OB. Dann der “konsensuale Vorschlag”. Abgelehnt – auch gegen den OB.

Und dann die Frage, ob das Bürgerbegehren für unzulässig erklärt werden soll? Angenommen, ebenfalls vom Oberbürgermeister, der die Hand in den Himmel streckte, als sei er drauf aus, sich die Schulter ausrenken zu wollen.

Die Gemeinderäte waren danach sichtlich angestrengt, der OB wirkte erschöpft, aber zufrieden. Hat er sich nicht gegen seinen ursprünglichen Willen auf die Bürgerbeteiligung eingelassen? Hat er nicht mit allen Mitteln und allem Einsatz bis zum Schluss geradezu für den Bürgerentscheid gekämpft? Er beugt sich dem Souverän, dem Gemeinderat. Der hat nun sowohl den Aufstellungsbeschluss gefasst, als auch die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens entschieden und damit die Ablehnung eines Bürgerentscheids bestätigt. Ganz nebenbei hat man auch noch 46.000 Euro Steuergelder verschwendet, die Antwaltskosten für Gutachten noch nicht gerechnet. Die verschwendete Zeit der Bürgerräte auch nicht.

Weinheim Plus kommentierte unser Facebook-Protokol (wir dokumentieren die Sitzungen live auf Facbook):

Eine Ohrfeige für die Bürgerräte!

Nach der Abstimmung massierte sich Herr Bernhard ein wenig die Schulter. Und wer ihn kennt, wunderte sich, dass kein Wort der Empörung von ihm geäußert wurde, obwohl er doch Befriedung und einen Bürgerentscheid wollte und all die Arbeit, die Aufregung und das Geld, das man noch nicht mal für Sporthallen hat “perdu” war.

Politisches Stretching

Vielleicht war er aber einfach zu erschöpft. Denn so ein Stretching kann schon anstrengend sein und ein gewisses Ziehen mit sich bringen. Und wer nur oberflächlich hinschaut, wird anerkennen, dass er der bürgernahe Bernhard ist, obwohl seine Partei, die SPD, im Begriff ist, die FDP in Sachen Bürgernähe auf einer Umgehungsstraße zu umfahren. Dafür gibt es den Chapeau.

Respekt gibt es keinen, weil Herr Bernhard zusammen mit der Mehrheit des Gemeinderats verantwortlich ist, dass sich die Unterzeichner des Bürgerbegehrens, die Bürgerräte, die Zuschauer und die Bürger, die sich das Thema interessieren, sich zu recht als verschaukelt vorkommen dürfen.

Ob sich neben all der Politikverdrossenheit tatsächlich in naher Zukunft nochmal jemand für so ein Theater gewinnen lassen wird, im Wissen, nur Statist zu sein und keine Rolle zu spielen, ist mehr als fraglich.

Ebenfalls fraglich ist der Ausgang der Klage. Das Ergebnis ist offen und wird das Thema weiter am Laufen halten. Die Chancen für die BI zu gewinnen stehen nicht gut. Die Chancen für die BI “Schützt die Weinheimer Breitwiesen” hingegen sind glänzend – beispielsweise für neue Bürgerbegehren, bei denen man sicher keine “Frist” mehr verpasst. Außer, man wird nochmal reingelegt.

Ob die Mehrheit des Gemeinderats die Kompetenz hat die Lektion gelernt, geschweige denn verstanden zu haben, darf ebenfalls als fraglich gelten.

 

Moderation von Kommentaren

Die Moderation liegt bei der Redaktion. Für uns steht fest: Kritische Diskussionen sind erwünscht, persönliche Beleidigungen hingegen werden entfernt. Wie wir moderieren steht in der Netiquette.

  • Thomas Ott

    Im ersten Absatz schreiben Sie: “Die Untätigkeitsklage läuft weiter.” Diese Aussage ist m.E. nicht korrekt, denn die Untätigkeitsklagen richteten sich gegen die Tatsache, dass der Gemeinderat in der Frage der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht entschieden hatte. Mit der gestrigen Abstimmung ist diese Frage aber nun geklärt. Der Weg ist jetzt frei für eine Klage gegen den Unzulässigkeitsbeschluss und eine Grundsatzentscheidung des Verwaltungsgerichtes.

    • Redaktion

      Guten Tag!

      Danke für das aufmerksame Lesen. Tatsächlich ist die Information für uns redaktionell nicht zweifelfrei beschreibbar.

      Nach Auskunft des Verwaltungsgerichts besteht die Klage zunächst weiter und könnte auch weiter verhandelt werden. Die Klage könnte aber auch an die neue Situation angepasst werden. Und richtig: Es kann auch gegen den Unzulässigkeitsbeschluss geklagt werden. Die “Grunsatzentscheidung” würde dann aber vermutlich erst in zweiter Instanz vor dem VGH gefällt werden.

      Der Sprecher sagte: “Das ist eine ungewöhnliche Situtation, die haben wir nicht häufig.” Weitere Auskünfte wollte er nicht erteilen, weil der Fortgang vom Verhalten der Beteiligten bestimmt werde, was das Gericht natürlich nur “spekutlativ” betrachten könne und was es natürlich nicht tut.

      Einen schönen Tag wünscht
      Das Weinheimblog.de

  • http://www.carsten-labudda.de Carsten Labudda

    „Schwarzer Tag für Demokratie“

    Die Linke kritisiert Absage an Bürgerentscheid

    Weinheim. (o) „Das war ein schwarzer Tag für die Demokratie in Weinheim.“ Der Unmut über die Entscheidung des Gemeinderates, keinen Bürgerentscheid zum Thema Breitwiesen zuzulassen, ist Stadtrat Carsten Labudda (Die Linke) deutlich anzumerken. Nach einer turbulenten Sitzung hatten SPD, Freie Wähler und die Mehrheit der CDU beschlossen, die Breitwiesen zum Gewerbegebiet machen zu wollen. Für die Linke ist das ein Schlag ins Gesicht der Bürger.

    Vor einem Jahr hatten rund 5.000 Bürger schriftlich ihren Willen bekundet, über die Entwicklung der Breitwiesen in einem Bürgerentscheid selbst abstimmen zu wollen. Nach einem langen Tauziehen haben Stadtverwaltung und Gemeinderat einen Dialogprozess initiiert, bei dem engagierte Bürgerräte intensiv über die Materie berieten. Auch diese sprachen sich im Ergebnis klar für einen Bürgerentscheid aus. Alle Parteien hatten im Vorfeld erklärt, das Votum der Bürgerräte zu respektieren. „Aber was für eine Art von Respekt soll das sein, wenn nun von den großen Fraktionen alles über den Haufen geworfen wird?“, kritisiert Labudda.

    Die Bürger hätten im Vorfeld der Gemeinderatssitzung ihre Bereitschaft für einen Kompromiss gezeigt. Doch selbst die mit der Stadtspitze gefundene Konsenslösung sei von SPD, Freien Wählern und der Mehrheit der CDU niedergestimmt worden. „In meinen Augen ist das ein politischer Offenbarungseid“, konstatiert der Linke-Stadtrat. Die großen Fraktionen hätten gezeigt, dass sie das Wort von der Bürgerbeteiligung nur als Phrase verwendeten, solange es nach ihrem Willen laufe. Dass die SPD-Fraktion gar eine geheime Abstimmung verlangt hatte, sieht Labudda als „Bankrott-Erklärung“ in der Frage von Offenheit und Transparenz.

    Nach Auffassung der Linken hätten die großen Fraktionen der Demokratie mit dieser „Beton-Entscheidung“ einen Bärendienst erwiesen. Überall nehme die Beteiligung der Bürger zu. In Weinheim jedoch würden die Bürger so offensichtlich „abgeledert“, dass man sich über steigenden Politikverdruss nicht wundern dürfe.

    Labudda befürchtet nun ein langes juristisches Tauziehen, denn die Bürger würden diese „dreiste Ablehnung“ wohl kaum auf sich sitzen lassen.