Rhein-Neckar/Mannheim, 28. September 2012. (red) Der Landtagsabgeordnete und Mannheimer Stadtrat Wolfgang Raufelder ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Landtag. Als Seckenheimer kennt er die Probleme der L597 und das Nadelöhr der Brücke nach Ilvesheim. Im Exklusiv-Interview äußert er sich zu Hintergründen was die aktuellen Verkehrsplanungen angeht – vor Ort, aber auch im Land. Und nicht nur zur Straße, sondern zu allen Verkehrsträgern.
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Interview: Reinhard Lask und Hardy Prothmann
Herr Raufelder – das Thema Verkehr ist ein Dauerbrenner. Fassen Sie doch mal kompakt Ihre Haltung für die Region zusammen.
Wolfgang Raufelder: Grundsätzlich sind wir als Grüne angetreten auch in der Verkehrspolitik den „Modellsplit“ also die Verkehrsströme zu verändern. Wir sind für mehr und bessere Angebote öffentlicher Verkehrsmittel im Regional- und Fernverkehr. Wir machen uns für die Neubaustrecke Frankfurt–Mannheim stark und fordern die Ertüchtigung des Hauptbahnhofs Mannheim. Außerdem wollen wir die S-Bahn-Verbindung Ladenburg–Weinheim vorantreiben. Bei Ladenburg ist ein Brückenschlag mit einem dritten Gleis viel notweniger, als die Straßenprojekte. Die L597 ist jetzt im Bewertungsschema. Das Land hat dabei die Projekte nach acht Kriterien von Kosten bis Umweltverträglichkeit bewertet und eine Rangliste erstellt, wie dringend jedes Projekt ist.
Alte Planungen für eine neue Brücke
Die L597 ist nach hinten gerutscht.
Raufelder: Nein. Die L597 steht auf einer „Extrahitliste“ und hat eine Sonderstellung, weil sie mehr als 20 Millionen Euro kosten würde. Ich beschäftige mich politisch seit 1993 mit der Brücke. Das Hauptargument damals war eine direkte Verbindung zwischen Viernheim und Schwetzingen zu schaffen, weil es in Schwetzingen eine Gummi-Zellulose-Fabrik gab, in der viele Leute aus Hessen gearbeitet haben. Heute gibt es die Firma nicht mehr, weshalb es keine überregionale Notwendigkeit mehr gibt.
Trotzdem gibt es zu viel Verkehr auf der Brücke zwischen Ilvesheim und Seckenheim.
Raufelder: Über die Autobrücke zwischen Ilvesheim und Seckenheim wickeln wir viel Binnenverkehr, aber kaum noch überregionalen Verkehr ab. Im Mannheimer Gemeinderat hatten wir viele Ideen die Verkehrsprobleme anders zu lösen: mit Lkw-Durchfahrverboten oder Geschwindigkeitsbeschränkungen in Seckenheim. Wir haben einen Verkehrsentwicklungsplan für die Region gefordert. Heraus kam, dass weit mehr als die Hälfte der Fahrten zwischen Seckenheim und Ilvesheim nur zwischen diesen beiden Orten stattfinden – eine örtliche Belastung, die man sich selber macht. Die Situation könnte man verbessern, indem zum Beispiel die Seckenheimer mit dem Fahrrad ins Ilvesheimer Schwimmbad fahren. Alternativen wie Busse und Bahnen sind uns immer wichtiger als Straßen zu bauen.
“Mir fehlen Alternativen.”
Die Bürgerinitiativen sehen das anders. Die haben Sorge, dass die Brücke nie kommt.
Raufelder: Schade ist, wenn Bürgerinitiativen nur „Brücke und nichts anderes“ fordern. Er wäre ehrlicher gewesen, wenn da eine Breite der Konzepte herausgekommen wäre. Man hat ja gemerkt, dass das Finanzierungskonzept der Brücke von der CDU mitbestimmt war. Die hatten jahrzehntelang die Möglichkeit gehabt, das Projekt Brücke anzugehen. Wir Grüne waren da schon immer breiter aufgestellt. Bei den Forderungen der Bürgerinitiative fehlen mir die Alternativen. Das werden wir aber auch mit den Initiativen noch besprechen. In Seckenheim habe ich das bereits gemacht.
Wie verlief das Gespräch?
Raufelder: Es gibt schon viel Verständnis dafür, dass wir andere Ideen entwickeln müssen, um den Verkehr in den Griff zu bekommen. Neue Straßen ziehen mehr Verkehr an. Das ist eigentlich eine Binsenweisheit, die aber immer wieder bestritten wird. Man muss aber überlegen, ob eine weitere Autobrücke wirklich Ilvesheim und Seckenheim entlasten würde. Seckenheim hat im Zuge der Erneuerung seiner Hauptstraße – den Planken – jetzt eine neue Bushaltestelle erhalten. Erst wollte man die Bushaltestelle rauszunehmen. Dann hat der Einzelhandel gemerkt, dass da rund 40.000 Fahrgäste vorbeikommen und viele davon auch da einkaufen.
Sie haben jetzt viel von den Vorteilen der Alternativen zur Brücke gesprochen. Heißt das im Umkehrschluss, dass eine Brücke für sie nur Nachteile hat?
Raufelder: Vieles was mit der Brücke zusammenhängt ist negativ. Ich plädiere dafür, dass die betroffenen Orte wirklich mal Vor- und Nachteile besprechen. In Edingen-Neckarhausen waren zum Beispiel schon immer viele sehr kritisch gegenüber der Brücke. Da es jetzt aber einige Zeit braucht bis das Geld für den Brückenbau bereitgestellt werden kann, sollte man sich Übergangslösungen überlegen.
Neckargemünd und Branich-Tunnel waren finanziell schlecht geplant
Wer soll die festlegen?
Raufelder: Ich stelle mir da einen Runden Tisch vor, an dem alle betroffenen Gemeinden ausloten was möglich ist. Eine Frage ist, wie stark sich die Kommunen an den Kosten beteiligen können. Der Landesrechnungshof reagiert auf Argumente wie innerstädtische Verkehre und Ortsumfahrten sehr sensibel. Im Gegensatz zu unseren Vorgängern wollen wir auf den Rechnungshof hören.
Uns ist das Beispiel Neckargemünd noch stark in Erinnerung. Hier sind die die Kosten von 19 Millionen D-Mark auf 53 Millionen Euro gestiegen. Der Rechnungshof bemängelte, dass es sich nur um eine Ortsumfahrung ohne überörtlichen Bedarf handelte.
Die Tunnellösung war also für den Zweck zu teuer?
Raufelder: Ja. Um Verkehrsprobleme zu lösen, muss man nicht immer teure Straßen, Tunnel oder Brücken bauen. Ein Beispiel wie es anders geht: Wir haben mal bei der Firma angefragt, die Navigationskarten für die Lkw-Navigationsgeräte zu aktualisieren. Es kam heraus, wenn man ein Ziel im Casterfeld eingab, riet das Navi immer noch über die Ausfahrt Ladenburg durch Ilvesheim zu fahren. Wer ins Gewerbegebiet Ladenburgs will, wird jetzt über die Ortsumfahrung Feudenheim, Wallstadt, L597 geleitet – früher wurden die auch durch Ilvesheim geleitet. Das sind kleinere Maßnahmen, die viel verbessern können.
Was gibt es noch für kleine Lösungen?
Raufelder: Lkw-Fahrverbote in Ilvesheim und Seckenheim wären weitere Maßnahme. Man könnte die Bürger auf den Festen in den Orten aufklären, dass nicht jede Fahrt zwischen den Orten mit dem Auto sein muss. Da geben die Leute übrigens auch oft zu, dass manche Fahrt gar nicht nötig ist.
Vor dem Neubau ist der Sanierungsstau dran
Das klingt jetzt, als würde die Brücke gar nicht mehr gebaut werden.
Raufelder: Mit 18 Jahren habe ich mich zum ersten Mal mit der Brücke beschäftigt. Seitdem hat die CDU in jedem Wahlkampf gesagt, dass die Brücke kommt. Zwischendrin gab es immer wieder alternative Ansätze – sogar von der FDP! Immer hat die CDU mit der Begründung weggewischt, dass bald die Brücke kommen solle und alle immer wieder bis zur kommenden Wahl vertröstet. Ich bin jetzt 55 Jahre alt und die Brücke ist immer noch nicht da. Daher sage ich: Wenn man die Brücke in den kommenden Jahren nicht finanzieren kann, müssen wir uns über Alternativen unterhalten. Wir haben bei der Regierungsübernahme im vergangenen Jahr über 700 Straßenbauprojekte vorgefunden. Keines war durchfinanziert. Die CDU hat Planfeststellungsverfahren eingeleitet ohne festzulegen, wie das in den kommenden Haushalten zu finanzieren ist. Jetzt wird auch noch der Branichtunnel teurer. Selbst wenn alles gut laufen würde, würde die Brücke nicht vor 2020 kommen. Die CDU hat immer mit steigenden Einnahmen gerechnet, doch der Bund stellt nun nicht mehr so viele Gelder zur Verfügung. Hinzu kommt, dass wir den Sanierungsstau angehen wollen. Straßenbrücken, die in den 1970er-Jahren gebaut wurden müssen bald saniert werden. Manche Landesstraßen wie in Wilhelmsfeld sind mittlerweile völlig marode.
Herr Wacker wird aber nicht müde zu behaupten, dass genug Geld da sei, aber die Grünen das Geld umgeschichtet hätten, weil sie keine Straßen wollen.
Raufelder: Im jetzigen Haushalt wurde noch nichts umgeschichtet. Nur: Das rettet die Neckarbrücke in Ladenburg nicht. Uns drängt 1,2 Milliarden Wertsubstanzverlust an den Landstraßen. Da ist oft nur ein kleines Loch, aber wenn das nicht geschlossen wird und Wasser eindringt und den Untergrund kaputt macht, dann werden aus Sanierungsfällen im Nu dringende Neubauten.
Aber langfristig ist eine Umschichtung geplant?
Raufelder: Ja. Bei den Straßenbauprojekten waren bisher immer 60 Prozent für den Straßenbau und 40 Prozent für den ÖPNV vorgesehen. Bis 2016 sollen die Anteile nun gleich sein und danach langsam mehr in den ÖPNV gehen.
Herr Wacker betreibt klar Wahlkampf
Sie meinen, dass Herr Wacker dieses Thema jetzt auf die Agenda nimmt, um beim Wähler zu punkten?
Raufelder: Das ist ein klares Wahlkampfmanöver. Ich habe mir mal die L597-Akten aus Stuttgart kommen lassen. In den ganzen Jahren, als wir gefragt haben, wann der Planfeststellungsbeschluss kommt und wie es aussieht, gab es einen oder zwei Briefe von Georg Wacker oder Herrn Reichert. Die lapidare Antwort der CDU-Landesregierung lautete: „Vertröstet eure Wähler vor Ort. Wir werden sowieso zuerst den Branichtunnel vorantreiben.“ Die alte Regierung versuchte in jedem Wahlkreis irgendeine Straße anzufangen, damit der örtliche Abgeordnete dann gut dasteht. Das haben wir geändert. Wir achten jetzt auf den Nutzen eines Straßenbauprojekts.
Sprich: Er hat sich auch nicht um den Bau der Brücke gekümmert.
Raufelder: Wenn er sich damals am Anfang so stark für die Brücke eingesetzt hätte, hätte man die Brücke in der CDU-Regierungszeit ja umsetzen können. Wir sind jetzt seit einem Jahr dabei aufzuräumen und entdecken, dass bei der CDU einiges schiefgelaufen ist. Egal, wo wir nachschauen: Überall kommen Haken zum Vorschein – sei es bei der EnBW-Affäre, der Polizei oder der Bildung.
Wie sieht es in der Bildung aus?
Raufelder: Da ist es ganz extrem. Bildungsministerin Annette Schavan schreibt uns, wie positiv sie das zweizügige Schulsystem findet und im Landtag tut die CDU so, als wenn das nie ein Thema bei ihr gewesen wäre. Wenn Georg Wacker im Parlament plötzlich erzählt, wie toll doch das dreigliedrige Schulsystem sei, kann man nur noch staunen.
Was erstaunt sie daran?
Raufelder: Er hat immer noch dieses Regierungsgehabe und sollte langsam mal in die Realität zurückkehren und schauen, wo wir zusammenarbeiten können. Ich praktiziere das auch, wenn ich Gerhard Stratthaus frage, was er als wichtige Maßnahme in der Region ansieht. Was den Ausbau des Mannheimer Hauptbahnhofs anbelangt, herrscht Gott sei Dank auch bei CDU und FDP die Übereinkunft, dass man im Interesse Mannheims da an einem Strang ziehen muss.
“Ich sehe derzeit keine neuen Straßen.”
Bleiben wir bei den Straßen. Die Landesregierung will in den kommenden Jahren 83 Millionen in den Ausbau von Landesstraßen stecken. Welche Projekte werden in der Region stattfinden?
Raufelder: Der Großteil wird in den Branichtunnel fließen und Sanierungsmaßnahmen einiger Straßen betreffen. Neue Straßen sehe ich derzeit keine.
Insofern hat Wacker recht, wenn er sagt, dass sie keine Straßen bauen wollen.
Raufelder: Schon, aber sie müssen auch sehen, dass der Rhein-Neckar-Kreis gut erschlossen ist. Wenn man die Verkehrswende ehrlich will, muss man den Bestand erhalten und durch effiziente Systeme effektiver nutzen. Das ist besser, als mehr Straßen zu bauen. Wir haben im Kreis oft Parallelverkehr von Bundesstraßen und Autobahnen. Da gibt es noch viel Potenzial. Die intelligente Straße ist Bestandteil unserer Philosophie. Wir wollen, dass für jeden Nutzer das entsprechende Verkehrsmittel bereit steht: Das geht vom Fahrrad, über Fußgängerweg bis zu Bus und Bahn und auch zum Auto. „Modellsplit“ und Flexibilität sind da die Stichworte.
Werden sie dafür eine Mehrheit in der Bevölkerung finden?
Raufelder: Ich denke schon. Bei den Älteren wird das Auto bald auch nicht mehr die Stellung haben, die es in den Generationen zuvor hatte. In vielen ländlichen Bereichen organisieren sich heute immer mehr Fahrgemeinschaften. Die Rufbussysteme werden immer beliebter. Viele Leute finden den Trend weg vom Auto auch gut, weil sie das Auto nicht mehr als Allheilmittel sehen. Junge Leute sind heute nicht mehr so autoaffin wie meine Generation. Gerade die 18- bis 30-Jährigen fordern heute vermehrt Carsharing-Modelle. Die wollen kein eigenes Auto besitzen, aber bei Bedarf eins nutzen können, um von A nach B zu gelangen.
“Viele Ortsumfahrten sind gar nicht mehr gewollt.”
Wird dann in Heddesheim zum Beispiel keine Ortsumfahrung nötig sein, weil immer weniger dort ein eigenes Auto besitzen wollen?
Raufelder: Man wird die Heddesheimer kritisch fragen müssen, wo sie hinwollen. Die Frage ist auch, wie man Heddesheim stadtplanerisch entwickeln will. Möchte man zum Beispiel die Landschaft als Teil der Lebensqualität vor Ort einbeziehen? Das müssen die Bürger beantworten, wenn es darum geht, wo sie mit der Ortsumgehung hinwollen. Soll der Verkehr nach Mannheim gelenkt werden? Darunter würde wieder der Heddesheimer Einzelhandel leiden und so auch die Wohnqualität.
Die Heddesheimer Ortsumfahrt hat also mehr Nach- als Vorteile?
Raufelder: Was ich damit sagen wollte: Viele Ortsumfahrten sind heute gar nicht mehr gewollt. Wenn nur eine gebaut werden soll, um Gewerbegebiete wie Pfenning dort anzusiedeln, dann wollen wir Grüne das nicht. So denken auch viele Heddesheimer. Die wollen wissen, was diese Straße soll. Die fragen, ob nur wieder riesige Gewerbegebiete entstehen sollen oder sie davon einen Nutzen in Form einer Ortskernentlastung haben.
Raufelder: Ich habe mich außerhalb der Ferienzeit auf den Fritz-Kessler-Platz gesetzt, um zu sehen, was da um 17, 18 Uhr los ist. Da gab es keine großen Staus. Ilvesheim und Seckenheim haben da vergleichsweise viel größere Verkehrsprobleme.
Seit Heddesheim ein Einfahrverbot für Lkws hat, die länger als zwölf Meter sind, ist die Situation deutlich besser geworden.
Raufelder: Das meinte ich damit, dass intelligente Verkehrsleitung einiges erreichen und verbessern kann.
Wenn aber Pfenning und Edeka entwickelt sind, könnten Politik und Unternehmen die Ringstraße fordern, weil sonst der ganze Lkw-Verkehr durch den Ort geht.
Raufelder: Wenn es so ist, dass viele auswärtige Arbeitnehmer dort arbeiten, müssen sie solche Diskussionen führen. Da muss man aber so offen diskutieren und die neuen Gegebenheiten wie Edekaerweiterung anerkennen. Es gibt ja so ein Abkommen auch auf regionaler Ebene, dass man den Verkehr sichtet und schaut, ob das alles so klappt, wie man sich das vorstellt. Da müssen wir auch dranbleiben, das ist auch auf Landesebene deutlich geworden – wir müssen die Verkehre landesweit beobachten – auch in Übergangsbereichen.
Wie machen Sie das?
Raufelder: Es gibt diese Pfosten, die sehr diskret zählen können. Die werden angebracht und dann machen wir eine Echtzählung, um zu messen, wie belastet die Straße tatsächlich ist. Oft sind es nur Prognosen durch Simulationen oder Annahmen. Durch die günstigen Leihpfosten werden wir echte Zählungen vornehmen.
“Wir werden anhand von Zahlen entscheiden und nicht leere Versprechungen abgeben.”
Gibt es da bereits Beispiele für?
Raufelder: Wir haben das in Freiburg mit Fahrrädern gemacht. Dabei kam raus, dass manche Radwege total überlastet waren und wir mussten diese erweitern. Daher wollen wir jetzt auch bei Straßen die Echtüberprüfung haben. Dabei kann rauskommen, dass die Belastungswerte so hoch sind, dass auch Grüne handeln müssen und wir uns für Straßenbau einsetzen.
Ist das bereits vorgekommen?
Raufelder: Ja, im Fall Tübingen-Stuttgart wird jetzt eine dritte Spur angebaut, weil wir festgestellt haben, dass die Verkehrsbelastung zwischen Tübingen und Stuttgart sehr stark zugenommen hat. Der Grund ist, dass die Leute gerne nach Tübingen ziehen, weil Infrastruktur und Erholungssituation zum Wohnen ideal sind, sie aber in Stuttgart arbeiten. Da macht es Sinn, dass diese Strecke erschlossen wird – allerdings auch eisenbahnmäßig.
Was ist mit der B3 an der Bergstraße. Hirschberg leidet wie die Hölle an dieser Straße. Schriesheim auch. Können sie da Einfluss nehmen, obwohl die Straßen dem Bund unterstehen?
Raufelder: Wir werden vom Bund befragt, wie es mit Bundesstraßen aussieht. Da haben wir jetzt auch eine Rangfolge von Straßen angegeben, die am dringendsten angegangen werden müssen. Die wurde bisher vom Bund noch nicht bestätigt. Bei der B3 wird auf jeden Fall diskutiert und wir schauen, welche Verlagerungspotenziale da sind und welche Doppelfunktion es mit der Autobahn gibt. Da haben wir dem Bund signalisiert, dass wir die Straßen gerne erweitern würden. Der Bund findet es zwar gut, dass wir das so machen, aber er hat letztendlich das Recht, das Geld so zu verteilen, wie er es will.
Wir haben auch ein Verkehrskonzept auf Bundesebene was Bundesautobahnen und -fernstraßen angeht. Da haben wir eine Erweiterung der Autobahn A6 diskutiert, um dem Bund zu signalisieren, dort besteht zum Beispiel ein Kapazitätsproblem. Die Grünen machen also auch Straßenprojekte – wenn sie Sinn ergeben.
“Wir müssen den Verkehrszuwachs in die richtigen Bahnen lenken.”
Die B3 können sie an der Bergstraße nicht ausbauen. In Großsachsen bilden die Häuserreihen ein Nadelöhr. Die Straße geht durch den Ort. Da müsste man die A5 ausbauen.
Raufelder: Die Alternative wäre eine Ortsumfahrung. Bei der B3 ist aber das große Problem, dass sie auch eine Ausweichfunktion zur Autobahn hat. Hier stellt sich auch wieder die Frage: Wie intelligent mache ich die B3, dass sie nur den Verkehr aufnimmt, der an die Bergstraße will. Die Orte an der Bergstraße leiden auch unter ihrer touristischen Attraktivität. Die Anwohner sind da auch zwiegespalten, ob Straßenprojekte immer sinnvoll sind, um den Tourismus weiterzuentwickeln. Es ist nun unsere Aufgabe, die Straßen zu optimieren und den Verkehrszuwachs in die richtigen Bahnen zu lenken.
In Hirschberg läuft richtig was schief. Die OEG ist zwar ausgebaut worden, aber durch die Übergänge kommt es zu langen Wartezeiten an den Ampeln. Das Problem: Viele sitzen allein im Auto, statt die OEG zu nutzen. Man vermisst bei den Grünen den ehrlichen Hinweis, dass das so gewollt ist.
Raufelder: Dass die OEG jetzt viel schneller zwischen Heidelberg und Weinheim agiert und das sie eine echte Alternative zum Auto ist, müssen wir den Leuten noch klar machen.
“Es braucht eine Aufklärungskampagne.”
Bei den Benzinpreisen sollte das doch leicht sein, oder?
Raufelder: Noch fehlen genügend Park-and-Ride-Halteplätze an den Haltepunkten. Im Koalitionsvertrag steht, dass wir alle Kommunen im Ein-Stunden-Takt erreichbar machen wollen. Da spielt auch der Bus eine wichtige Rolle. Wir wollen auch Parkstationen in Schriesheim, Hemsbach, Laudenbach bauen, um den Verkehr dort aufzunehmen. Dort können die Leute dann in die Bahn umsteigen, um in die Innenstädte von Mannheim, Heidelberg oder Weinheim zu fahren.
Darüber müssen die Leute aber auch informiert werden.
Raufelder: Die Aufklärungskampagne ist wichtig. Da sind wir immer auch auf die Bürgermeister angewiesen, dass die da mitmachen. Das Dilemma mit den Wartezeiten zeigt, dass die Leute noch zu sehr auf das Auto fixiert sind. Wir werden diese Verkehrskonzepte in Zukunft besser kommunizieren und einen guten ÖPNV auch gut vermarkten. In Berlin oder Stuttgart gibt es viele Bewohner, die in der Innenstadt gar kein Auto mehr haben, weil der ÖPNV so gut ist. Im Rhein-Neckar-Kreis hat der ÖPNV-Ausbau jedoch mit dem S-Bahn-Bau erst spät angefangen. Da sind wir hintendran. Die hohen Zuwachsraten lassen jedoch hoffen, dass die Leute das mehr und mehr annehmen. Daher ist auch die zweite Ausbaustufe der S-Bahn ein Muss. Selbst die OEG zieht trotz Problemen immer mehr Fahrgäste an. Auch beim AST Heddesheim sind Zuwachsraten da.
Mit über 80 Millionen Euro ist der Branichtunnel das teuerste Verkehrsprojekt derzeit. Werden nun deswegen alles anderen im Kreis geplanten auf Eis gelegt?
Raufelder: Nein. Was wirklich reingehauen hat, war der Tunnel in Neckargmünd. Da war eine enorme und unerwartete Steigerung der Baukosten. Da sind jedoch Mittel aus Sanierungsmaßnahmen reingeflossen, sodass wir da noch Luft haben. In Sachen Straßensanierung sind wir nun jedoch mehr gefordert, als wir uns das gewünscht hätten.
Die Grünen wollen auch den Neckar durchgängig zur wettbewerbsfähigen Wasserstraße ausbauen. Wie soll das funktionieren?
Raufelder: Wir wollen die „Bundeswasserstraße Neckar“ von Mannheim bis Stuttgart leistungsfähig auszubauen. Dazu müssen wir erstmal die vorhandene Infrastruktur sanieren. Ein Beispiel ist die Schleuse bei Plochingen, die komplett saniert werden muss.
Viel Verkehr kann von der Straße aufs Wasser.
Wer soll denn auf dieser „Bundeswasserstraße“ fahren?
Raufelder: Hintergrund ist der, dass Audi und Mercedes sich überlegen, von Stuttgart aus Schiffe in Roll-in-roll-off-Anlage auf die Wasserstraße bringen. In Mannheim wollen wir eine zentralen Punkt schaffen, wo Straße, Wasserstraße und Schiene an einem Punkt zu zentralisiert werden und es eine Umlademöglichkeit gibt. Wir haben hier in der Nähe das Frachtverladezentrum der BASF, den Hafen Mannheim und den in Ludwigshafen. Heilbronn ist gerade eröffnet worden, um die Trimodalität zu erreichen. Hinzu kommt, dass wir den Neckar für 135-Meter-Schiffe fit bekommen müssen. Dazu soll je eine Scheusenkammer überall zwischen Mannheim und Stuttgart auf 140 Meter erweitert werden. Kleinere Schiffe und Ausflugsschiffe nutzen die andere kleinere Schleuse.
Wann soll es losgehen?
Raufelder: Beim Bund steht der Ausbau bis Heilbronn bereits auf der Agenda. Allerdings hat Verkehrsminister Ramsauer den Neckar ab Heilbronn bis Stuttgart abgestuft.
Was bedeutet das?
Raufelder: Raufelder: Damit hat der Ausbau in dem Abschnitt kaum Realisierungschancen. Dagegen wollen wir vorgehen, weil wir zur Straßenentlastung auf jeden Fall die Wasserstraßen brauchen. Wir haben das Angebot von Audi und Mercedes, dass sie auf Schiffe als Transportmittel setzen – Ford macht bereits seinen gesamten Transport von Köln bis nach Rotterdam per Schiff.
Gibt es also einen Trend weg vom Lkw hin zum Schiff – wenn es möglich ist?
Ja. Der Rotterdamer Hafen vergrößert sich bereits in dieser Richtung. Auch die deutsche Industrie setzt auf die Wasserstraße Neckar-Rhein mit Verladung für den Überseetransport in Rotterdam. Der Vorteil für die Unternehmen ist, dass Schiffe von Stuttgart bis Rotterdam durchfahren können und keine Zwischenstopps mehr nötig sind. Für die Logistiker ist das enorm wichtig. Zudem spart man auf den Flüssen auch die Lkw-Maut. Allerdings lohnt sich das Ganze logistisch erst, wenn 135-Meter-Schiffe eingesetzt werden können. Daher müssen wir alles daran setzen, den Neckar bis Stuttgart entsprechend zu ertüchtigen.
Aber diese Ertüchtigung ist doch jetzt angelaufen?
Raufelder: Aber nicht durchgängig bis Stuttgart. Da sperrt sich Bundesverkehrsminister Ramsauer noch. In Baden-Württemberg haben wir bei dem Thema übrigens eine große Koalition. Selbst die CDU ist für die Ertüchtigung des Neckars bis Stuttgart. Bei meiner Rede zu dem Thema habe ich im Landtag erstmals sogar Applaus von der CDU bekommen.
Wieviele 40-Tonner passen in ein 135-Meter-Schiff?
Raufelder: Die Logistiker sprechen von rund 120 Stück, die man dann nicht mehr auf der Straße hätte. Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Autos nicht aufwändig verpackt werden müssen und die Verschmutzungs- und Beschädigungsrate weitaus geringer ist, als beim Transport mit Zug oder Lkw. Was noch fehlt, sind entsprechende Wendemöglichkeiten für diese langen Schiffe auf dem Neckar. Die müssen wir noch zusätzlich anlegen.
Wendepunkt Ladenburg
Wo sollen die entstehen?
Raufelder: Eine müsste im Bereich Ladenburg sein. Vor dem Wehr dort ist jedoch in meinen Augen bereits eine natürliche Wendemöglichkeit. In die Diskussion müssen wir allerdings die Bürger miteinbeziehen, weil das ein massiver Eingriff in die Landschaft ist.
Was muss in Mannheim noch getan werden?
Raufelder: Im Hafen Mannheim muss man überlegen, wo man Aufstellflächen für Lkws und die Umladeflächen hinbaut. Für eine intelligente Logistik und Straßenführung braucht man Alternativen, wo man etwas verladen kann. Wir wollen dafür die Rheintalschiene ausbauen. Da geht’s dann wieder um Lärmschutz, Kapazitäten, das Hafengleis vom Mannheimer Hauptbahnhof zum Hafen muss ertüchtigt werden. Da geht es um viele kleine Stellschrauben, die man bedenken muss.
Also reden wir über neue Schleusen und Hafenausbau in Mannheim, Stuttgart, Heilbronn …
Raufelder: Mannheim haben wir schon ausgebaut, Heilbronn haben wir gerade neu eröffnet. Es ist schon in die richtige Richtung investiert worden. Wichtig ist jetzt, die alten Schleusen zu sanieren und auf die richtige Größe auszubauen.
Wird für den Flussausbau dann beim Straßenbau gespart?
Raufelder: Nein. Beim Ausbau der „Bundeswasserstraße“ Neckar geht es um Bundesmittel. Wir müssen jetzt den Bund dazu bewegen, dass er endlich mit dem Ausbau anfängt. Wir sind dabei bereits in Vorleistung getreten und haben bei Projekten, die der Bund zahlen müsste, von uns aus Geld vorgelegt, damit es schneller geht. Auch die Rheintalschiene ist da ein Beispiel. Die Umfahrung Offenburg haben wir jetzt für fast 100 Millionen Euro in die Hand genommen. Wir haben Verträge mit Italien und Österreich und der Schweiz, dass wir eine bestimmte Verkehrslast durch den Gotthardtunnel bis 2013 garantieren müssen. Sonst müssen wir eine Strafe zahlen. Es wäre für uns eine Katastrophe, wenn der Ballungsraum Mannheim dabei abgehängt werden würde.
Aber da herrscht doch Einigkeit unter den Parteien.
Raufelder: Vom CDU-Abgeordneten Georg Wacker und anderen Kollegen hört man allerdings nichts, wenn wir uns beim Bund massiv für die Metropolregion einsetzen und zu verhindern versuchen, dass Mannheim abgehängt wird. Bedauerlicherweise nehmen auch die Zeitungen das Thema nicht auf. In Offenburg werde ich in der Presse zitiert, dass ich um Verständnis werbe, wenn wir in Mannheim investieren. Wenn wir in die Wasserstraße bei Stuttgart investieren, kommt das wiederum Mannheim zugute. Wir müssen wegkommen von dieser „Güterhaltung“ auf der Autobahn. Wenn sie auf der Autobahn von Heilbronn nach Stuttgart fahren, sehen sie morgens nur Lkw an Lkw. Viele davon sind zudem nur zur Hälfte oder einem Drittel beladen.
Hat zum Beispiel Mercedes nun bereits die entsprechenden Schiffe und Anlagen oder sollen die erst gekauft werden, wenn der Neckar ausgebaut ist?
Raufelder: Wenn die Infrastruktur da ist, wollen sie loslegen.
Gibt es bereits einen Zeitplan? Wann ist der Neckar bereit?
Raufelder: Wir haben mit Minister Ramsauer gesprochen: Bis 2016 brauchen wir ein klares Zeichen, dass der Ausbau bis Stuttgart stattfindet. Wir können nicht mehr lange warten. Was den gewerblichen Verkehre auf den Straßen angeht – die sind jetzt schon ausgelastet. Die Beschädigung durch Lkws kommt da noch hinzu. Deswegen sind wir auch gegen den Gigaliner, weil die Belastung von Brücken und Straßen horrend wäre.
Wie viel Verkehr könnte der ausgebaute Neckar von den Straßen wegnehmen?
Raufelder: Das können wir jetzt noch nicht beziffern. Wenn sie sich aber vorstellen, dass die Werke in Sindelfingen oder Stuttgart einen Großteil ihrer Produktion über Wasserstraßen transportieren würden, wäre das eine gigantische Entlastung. Eine erste grobe Schätzung geht davon aus, dass der voll ertüchtigte Neckar bis Stuttgart die Hälfte des dortigen Lkw-Verkehrs aufnehmen könnte. Das ist aber über einen ganz dicken Daumen gepeilt, zumal dann auch Logistiker sagen, dass sie die Lkw in diesem Fall anders einsetzen würden. Aber langfristig wird es eine große Entlastung sein. Gerade für die Strecke von Heilbronn nach Stuttgart.
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