Guten Tag!
Heddesheim/Rhein-Neckar, 25. Februar 2011. Der Heddesheimer Bürgermeister Michael Kessler, die CDU, die SPD und die FDP haben ein Problem mit dem “Verhalten” des partei- und fraktionsfreien Gemeinderats Hardy Prothmann. Der Vorwurf: Durch “Twittern” missachte GR Prothmann den Rat. Der Streit um Twitter & co ist nicht auf Heddesheim begrenzt.
In Heddesheim wurde der partei- und fraktionsfreie Gemeinderat Hardy Prothmann in der Gemeinderatssitzung vom 24. Februar 2011 per Mehrheitsbeschluss von Bürgermeister Michael Kessler sowie den CDU-, SPD- und FDP-Fraktionen aus der Sitzung ausgeschlossen und vom Bürgermeister des Saales verwiesen.
Der erste genannte Grund: Der Gemeinderat Prothmann habe getwittert und damit den Rat angeblich missachtet. Der zweite genannte Grund: Der Gemeinderat Prothmann habe angeblich den Bürgermeister beleidigt.
Gemeinderat Prothmann verwahrte sich gegen beide Unterstellungen und hat noch am selben Abend Beschwerde beim Kommunalrechtsamt eingereicht. Die Beschwerde, weitere Dokumentationen und Berichte zum Thema lesen Sie auf dem heddesheimblog.de.
Der “Streit” um den “Anstand” zwischen konservativen Bürgermeistern, ihren jeweiligen “Rats-Mehrheiten” und progressiven Gemeinderäten wird landauf, landab geführt. Im Kern geht es um die Kontrolle der “Deutungshoheit”. Einzelne Gemeinderäte oder kleine Fraktionen sollen sich der “Mehrheit” unterordnen. Meinungsfreiheit ist dabei eher ein gering geachtetes Gut.
Wutentbrannte Reaktion
Am 18. Dezember 2009 berichtet beispielsweise die Augsburger Allgemeine Zeitung unter der Überschrift: “Debatte um Kommunikationsdienst – Ärger um Twitter-Nachrichten aus dem Augsburger Stadtrat” über den damals 26-jährigen Stadtrat Christian Moravcik (Grüne). Moravcik hatte getwittert und andere Stadträte fühlten sich dadurch angeblich “gestört”.
Lange Zeit allerdings nicht – es war laut Bericht “seit Monaten bekannt”, dass der junge Mann den Internet-Dienst nutzt. Doch bei einer Sitzung verfolgte eine CSU-Stadträtin am Notebook, was der “Kollege” denn da so an Nachrichten verbreitet.
Eine Bemerkung über den CSU-Fraktionschef führte zum Eklat. Die Augsburger Allgemeine, ebenfalls eher eine konservative Zeitung, berichtete: “Kränzle reagierte wutentbrannt.”
Es folgten monatelange Diskussionen um ein Verbot und schließlich eine “Selbstverpflichtung”, wie Twitter zu benutzen sei. Die Augsburger Allgemeine berichtet am 24. August 2010: “Augsburger Stadtrat: Twittern wieder erlaubt.”
Die Thüringische “Goethe- und Universitätsstadt” Ilemnau (rund 26.000 Einwohner) ist da weiter. Sie achtet die Meinungfreiheit.
Hier ist Twittern sogar ins Ortsrecht aufgenommen worden.
In Ilmenau ist Twittern per Ortsrecht erlaubt
In der “Geschäftsordnung für den Stadtrat und die Ausschüsse sowie die Ortsteilräte der Stadt Ilmenau vom 5. November 2009” heißt es unter Paragraf 3 “Öffentlichkeit der Sitzungen”:
“(5) Tonbandaufzeichnungen sowie Filmaufnahmen durch Dritte sind nur mit einstimmiger
Zustimmung des Stadtrates zulässig. Die Zustimmung gilt als erteilt für Fotoaufnahmen,
wenn sie durch Journalisten vom Presseplatz aus erfolgen.
(6) Elektronische Informationen aus der öffentlichen Sitzung (z. B. Twittern) heraus sind
erlaubt. Dies gilt nicht für die nichtöffentliche Sitzung. Nur derjenige, der die elektronische
Information in das Internet eingibt, ist für die Rechtsfolgen der Verbreitung der
elektronischen Kurzinformation verantwortlich.”
Dort darf also die Presse sogar vom Platz aus fotografieren und bei Zustimmung des Stadtrates sogar filmen oder Tonbandaufnahmen machen.
In Weinheim ist die CDU Vorreiter
Im Weinheimer Gemeinderat gibt es ebenfalls Stadträte, die sich sozialer Netzwerke bedienen, darunter mindestens ein Stadtrat der CDU.
Die Städte Ladenburg und Weinheim sowie die Gemeinde Hirschberg, über die unsere Redaktion auch berichtet, sind darüber informiert, dass wir vom Pressetisch aus während der Sitzung twittern, Einträge bei Facebook vornehmen und sogar aus der Sitzung heraus nach Beschlussfassung Artikel sofort veröffentlichen.
Die Gemeinderäte und Bürgermeister dieser Kommunen haben nichts dagegen einzuwenden und verhalten sich in dieser Hinsicht vorbildlich in bezug auf Meinungsfreiheit und Transparenz.
Verboten sind dort wie in vielen Gemeinderäte Ton-, Film- und Fotoaufnahmen, außer, sie werden ausdrücklich gebilligt.
In Heddesheim lässt der Bürgermeister “observieren”
In Heddesheim hingegen rügte der Bürgermeister Michael Kessler den partei- und fraktionsfreien Gemeinderat Hardy Prothmann zum wiederholten Male, “Twittern” sei eine Missachtung des Gemeinderats.
Der Bürgermeister Kessler lässt dazu die Twitter-Aktivität des Gemeindrats Prothmann während der Sitzung durch Gemeindebeamte beobachten. Die Arbeitsanweisung scheint klar zu sein. Sobald eine Nachricht auftaucht, in die man aus Sicht der Verwaltung eine “Missachtung” hineininterpretieren kann, unterbricht der Bürgermeister die Sitzung, um eine “Stellungnahme” vorzunehmen.
Die Frage, inwieweit es sich um eine Missachtung des Gemeinderats durch die Verwaltungsmitarbeiter und den Bürgermeisters handelt, wenn diese während der Sitzung im Internet Twittermeldungen lesen, ist in der Sitzung vom 24. Febraur 2011 nicht geklärt worden.
Angst vor “Kontrollverlust”
Der Hintergrund für Auseinandersetzungen in Augsburg, Heddesheim oder anderswo ist sicherlich mit der Angst vor “Kontrollverlust” zu begründen.
Obwohl es sich um öffentliche Gemeinderatssitzungen handelt, war man es lange gewohnt, dass sich die Fraktionen und Verwaltungen im Vorfeld der Sitzungen absprechen. Man kann das auch “Hinterzimmerdemokratie” nennen oder “Gemauschel” oder wie auch immer.
Die wenigen Bürger, die bei solchen Sitzungen anwesend sind, erhalten keine Hintergrundinformationen, erleben keine tatsächliche Debatte. Die “Öffentlichkeit” wird im Nachgang häufig über Monopolzeitungen informiert. Politikverdrossenheit ist da vorprogrammiert.
Eigene Meinungen und Sichtweisen und eine zeitnahe Verbreitung (ver-)stören da viele “Traditionalisten”, die sich weder einer kritischen Öffentlichkeit und schon gar nicht kritischen Gemeinderatsmitgliedern, die alle demokratisch gewählt wurden, stellen wollen.
Einen schönen Tag wünscht
Das heddesheimblog
Anmerkung der Reaktion:
Hardy Prothmann ist verantwortlich für das heddesheimblog und ehrenamtlicher, partei- und fraktionsfreier Gemeinderat in Heddesheim.
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