Guten Tag
Weinheim, 16. März 2011. (red) Die Atmosphäre war teils angespannt – aber überwiegend konzentriert. Der Umgang mit der Atomenergie war das dominierende Thema in der alten Druckerei. “Diesbach Medien” (Weinheimer Nachrichten) hatte zur Podiumsdiskussion mit fünf Landtagskandidaten geladen. Dabei wurde schnell klar: Die Positionen stehen fest. Grün-Rot und Knallrot stehen gegen Schwarz-Gelb. Und letzere haben einen mehr als schweren Stand. Mitleid braucht man aber nicht zu haben.
Von Hardy Prothmann
“Dann fangen Sie doch mal damit an”, ruft ein Zuschauer empört.
Gerade hat Georg Wacker erklärt, das man “Speicherkapazitäten braucht, um das aufzufangen.” Mit “das” meinte er die “Versorgungslücke”, die enstehen könnte, wenn die laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet würden.
Top-Thema: Atomenergie
Weinheim, Friedrichstraße 24, Alte Druckerei: Diesbach Medien, der Verlag der Weinheimer Nachrichten, hat die Landtagskandidaten von CDU, Bündnis90/Die Grünen, SPD, FDP und Die Linke zur Podiumsdiskussion eingeladen. Rund 180 Gäste sind im Saal.
Mehr als die Hälte Ende 50, rund 40 Prozent “Mittelalter” zwischen 30 und Mitte 50 und der Rest junge Leute unter 30 Jahre. Später sagt jemand: “Die Teilnehmerzahl war enttäuschend.”
Über eine Stunde geht es nur um Japan, Atomkraft, die Katastrophe und die Frage, wie “Deutschland” mit der Atomenergie umgehen muss oder soll oder könnte.
Wacker und Arnold betonen “Brückentechnologie”
Die Positionen sind klar: Georg Wacker (CDU) und Dr. Birgit Arnold (FDP) befürworten weiterhin die Atomenergie als “Brückentechnologie”.
Frau Arnold sagt laut Weinheimer Nachrichten in der Ausgabe von heute:
“Wir wollen möglichst schnell aussteigen, aber unseren Wohlstand erhalten.”
Wir haben das Zitat so notiert:
“Wir wollen, dass keine Stromlücke entsteht und der Wohlstand erhalten bleibt.”
Herr Wacker sagt laut WN:
“Leider gehen fast alle Länder mit dem Thema anders um als wir in Deutschland. In Europa denkt sonst keiner über einen Atomausstieg nach. Hier ist die internationale Politik gefordert.”
Wir haben das so notiert:
“Wenn wir am Ende feststellen müssen, dass alle Länder um uns herum die Sicherheitsstandard nicht einhalten, dann kann das nicht sein.”
Atomenergie stoppen oder weitermachen?
Zwei Medien, zwei “unterschiedliche Auffassungen”, zwei Aussagen, zwei Meinungen.
Das ist die beste Beschreibung für die Situation im Saal. Raus aus der Atomenergie oder weitermachen? Beide Lager haben Anhänger.
Für Zwischentöne ist da kaum ein Gehör.
Linken-Kandidat Matthias Hördt spielt in der Debatte eigentlich keine Rolle. Er sagt ein paar Sachen, die gut ankommen, erhält auch mehrfach Applaus, für Bemerkungen wie:
“Wir müssen den Ausstieg so schnell wie möglich schaffen.”
Konkreter wird er nicht.
Uli Sckerl (Grüne) und Gerhard Kleinböck (SPD) fordern den “Wiedereinstieg” in den “Ausstieg” der rot-grünen Regierung, den die jetzige CDU/FDP-Regierung durch die Laufzeitverlängerung “rückgängig” gemacht haben. Jedesmal erhalten sie deutlichen Applaus dafür.
Frau Arnold und Herr Wacker halten das tapfer aus.
Extreme Verunsicherung.
Man merkt, dass es dem größeren Teil der Gäste im Saal “Angst und Bange” ist, angesichts dessen, was im Industrie-Musterland Japan gerade katastrophal passiert. Der dortige Gau hat viele – auch in den Reihen der örtlichen CDU-Anhänger – extrem verunsichert.
Sckerl und Kleinböck wollen raus aus der Atomenergie, das machen sie mehrfach klar, Schritt für Schritt, mit Abschaltungen der “kritischen Meiler” und nach und nach der restlichen AKWs. Und zwar konsequent. Je früher, desto besser.
Demgegenüber steht vor allem Frau Arnold, die immer und immer wieder den “Wohlstand” im Wort führt. Zitat WN:
“Wir wollen möglichst schnell aussteigen, aber unseren Wohlstand erhalten.”
Die Botschaft ist klar – ein schneller Ausstieg führt vom Wohlstand in die “Armut” – überspitzt formuliert.
Herr Wacker sagt, Zitat WN:
“Der sofortige Atomausstieg ist illusorisch. Aber wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um die Kernkraft überflüssig zu machen.”
“Dann fangen Sie doch mal an.”
Darum dreht sich der Kreis, der endlich einen Anfang haben soll, wie der Gast eingangs des Textes gefordert hat:
“Dann fangen Sie doch mal damit an.”
Bemerkenswert ist die Argumentationslage. Weder Uli Sckerl noch Gerhard Kleinböck fordern einen “bedingungslosen, sofortigen Ausstieg”.
Uli Sckerl sagt beispielsweise mit Zustimmung von Kleinböck:
“Niemand von den Grünen hat den Sofortausstieg gefordert, sondern die Rückkehr zum rot-grünen Ausstieg.”
Aber Herr Wacker erhählt deutlichen Applaus für seine “illusorisch”-Behauptung. Obwohl niemand gefordert hat, was er “zurückweist”. Das ist Politik.
Die Gäste, die applaudieren, wollen nicht hören, was gesagt wurde, sondern hören, was sie hören wollen.
Irritierende Erfahrung.
Zufällig sitze ich hinter der Hirschberger CDU-Chefin Uschi Pschowski. Die fängt fast reflexartig an zu kichern und zu lachen, wenn Sckerl, Kleinböck oder Hördt das Wort haben. “Oh Gott”, “ja, ja”, “unerhört”, höre ich im Hintergrund.
Man merkt, dass die Frau keinem Argument zugänglich ist, nicht zuhören, dafür aber stören will, die Redner “verlächerlichen” will. Ihr Lachen ist abfällig. Das ist eine verstörende Erfahrung. Ich weiß zwar, wer sie ist, kenne sie aber nicht. Ihre fortlaufenden Kommentare sind mir sehr unangehem, weil sie so respektlos sind, so frech und ohne Würde für eine Amtsträgerin. Aber das ist nur eine Randbeobachtung.
Vor mir sitzt, ebenfalls zufällig, der Ehemann von Frau Arnold. Stocksteif. Als hätte er einen Besen verschluckt. Er guckt konzentriert auf das Podium und nickt immerzu, wenn sie etwas sagt. Daneben sitzt ein Ehepaar, das sichtlich genervt “von seinem Abnicken” ist. Ob sie wissen, wer er ist, weiß ich nicht.
Frau Arnold sagt laut WN:
“Wenn Atomenergie so ein Teufelszeug ist, warum hat dann Rot-Grün 2002 nicht den sofortigen Ausstieg beschlossen?”
Wir haben notiert:
“Wir sind alle miteinander betroffen über das, was in Japan passiert ist. Es macht aber absolut keinen Sinn, jetzt alles abzuschalten.”
So geht das in einem fort.
Am Ende des Abends wird klar: Georg Wacker (CDU) und Dr. Birgit Arnold (FDP) vertreten die Parteilinien konsequent. “Moratorium”, “Gespräche”, “Planungen” kündigen sie an, halten aber steif und fest an der “Brückentechnologie” Atomkraft fest.
Ein schneller, ein entschiedener Ausstieg ist von ihnen nicht zu erwarten.
Und Herr Wacker sagt:
“Man muss die richtige Akzente setzen. Ich wäre mal gespannt, wie sich die Bürgerinitiativen der Bergstraße positionieren, wenn die Bergstraße zu Vorranggebieten für Windkraft gemacht würde.”
Windkraft als “Protestthema”.
Dafür erhält er viel Applaus, die CDU-Parteimitglieder klatschen besonders heftig. Man könnte fast meinen, dass sie die erste BI gegen Windkraft vor ihrer schönen Haustür organisieren werden, denn das “verspargelt” ja die Landschaft, wie Herr Wacker sagt.
Uschi Pschowski hinter mir klatscht, was ihre Hände hergeben: “Richtig, genau”, ruft sie. Der Trotz ist spürbar.
Und ich spüre auch, dass Frau Pschowski wahrscheinlich noch nicht verstanden hat, dass Windkrafträder vielleicht ihre Aussicht verschandeln würden, aber niemals tausende, hunderttausende oder mehr Menschen tödlich verstrahlen werden.
So ist das mit den Aussichten und Ansichten.
Ausstieg vs. Wohlstand.
Der vermeintliche Wohlstand wird beschworen – ohne Anerkennung der Lage in Japan, wo sehr viele Menschen nicht nur Wohlstand, sondern ihr Leben verlieren werden.
Frau Arnold und Herr Wacker bewerben weiterhin “günstige” Atomenergie – ohne Kenntnis dessen, was die “Einsparung” der vergangenen Jahre in Zukunft kosten wird.
Um es “nüchtern”, ohne jede Emotionalität zu benennen: Vier Atommeiler eines einzigen, weit entfernten Kraftwerks schocken gerade die Welt und die Börsen gehen runter. Die Handelsbeziehungen wichtiger Industriebereiche stehen vielleicht vor einem “Gau”.
Wer angesichts der Ereignisse die Atomenergie immer noch zu einem “Wohlstandsthema” macht, hat entweder gar nichts verstanden oder hat sogar einen Realitätsverlust oder hat andere Interessen.
Soviel wurde deutlich: Dr. Birgit Arnold macht die Atomenergie zur Wohlstandsfrage, Bildungsstaatssekretär Georg Wacker hält an der “Brückentechnologie” fest und Uli Sckerl ist sich mit Gerhard Kleinböck einig, dass man so schnell wie möglich aus der Atomenergie aussteigen will.
Deutlicher konnten die Positionen nicht bezogen werden.
Anmerkung der Redaktion:
Wir haben die Veranstaltung “live” mitprotokolliert. Zunächst auf Twitter und dann auf Facebook.
Alle Notizen finden Sie hier:
Weinheimblog auf Twitter (Sie benötigen nur für Antworten ein Twitter-Konto)
Rheinneckarblog auf Facebook (Sie benötigen ein Facebook-Konto)
Guten Tag!
Das schreiben die WN heute:
http://www.wnoz.de/index.php?&kat=113&artikel=109706721&red=27&ausgabe=
Einen schönen Tag wünscht
Das weinheimblog