Zur Sache: Die “unselige” Berichterstattung im Mannheimer Morgen | weinheimblog
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Zur Sache: Die “unselige” Berichterstattung im Mannheimer Morgen

Mittwoch, 20. Juli 2011
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Schere, Kluft, Arm, Reich - wichtiges Thema. Beim "MM" von "außen besetzt". Quelle: MM

Mannheim/Rhein-Neckar, 20. Juli 2011. (red) Die Entwicklung ist dramatisch – sowohl für Beschäftige mit niedrigen Einkommen als auch für Abonnenten des Mannheimer Morgen. In der heutigen Ausgabe benennt die Zeitung “Geringverdiener zu Verlierern”, berichtet weiter auf Seite 5 unter “Wirtschaft” zu “Kluft zwischen Arm und Reich wächst” und kommentiert die “unselige Schere”. Dahinter steckt sehr viel “Unseligkeit”. Auch eine journalistische. Und einen nicht vorhandene Transparenz.

Von Hardy Prothmann

Der MM “berichtet” also und “kommentiert” – so scheint es zumindest.

Tatsächlich steht auf Seite 1 ein Text von “unserem Korrespondenten” Wolfgang Mulke. Der kommentiert auch auf Seite 5. Dort steht ein weiterer Bericht “von dpa-Korrespondenten (sic!) Bernd Röder”.

Diese Berichterstattung ist keine eigene, redaktionelle Leistung des Mannheimer Morgens. Sie ist eingekauft. Von der Agentur “die-korrespondenten.de“, bei der Wolfgang Mulke arbeitet und bei dpa, der Deutschen Presse-Agentur.

“Dein”, “Mein”, “Unser” – der “MM” ist für “uns” alle da – oder doch nicht?

Mal abgesehen von dem Grammatik-Fehler bei Herrn Röder… – ist Herr Mulke tatsächlich “unser Korrespondent”, wie der MM das behauptet? Tatsächlich arbeiten “die-korrespondenten.de” für viele Zeitungen. Ebenso wie dpa.

Das geht auch in Ordnung.

Wer sich diese Dienstleistung als “unser”, sprich “eigene” aneignet, ist aber nicht wirklich ehrlich gegenüber den Leserinnen und Lesern.

Denn es ist keine eigene, redaktionell-journalistische Leistung der Zeitung. Beim Gemüsehändler würden man unter “unser Anbau” erwarten, dass der Apfel auch aus “unserem” Garten kommt. Bei der Zeitung ist das “abstrakter”.

Es scheint, als informierten Korrespondenten exklusiv für die Zeitung. Tatsächlich ist der MM nur eine von vielen Zeitungen, die tagtäglich bei Dienstleistern Informationen einkaufen und diese verbreiten. “Unser Korrespondent” ist aber eine gewagte Behauptung. Denn “unser” signalisiert “Exklusivität”. Tatsächlich ist das meistens nicht so.

Das aktuelle Thema beschäftigt sich mit der “Lohnschere” und Wolfgang Mulke schreibt einen wirklich guten Kommentar. Kritisch, auf den Punkt. Immer mehr Menschen werden in Billigjobs gedrängt: “Sie sind trotz Arbeit arm dran.” Der Satz beschreibt Lebensschicksale.

Wir haben schon “gestern” darüber berichtet – schneller und mit eigener Recherche:
http://rheinneckarblog.de/2011/07/19/diw-kaufkraft-sinkt-wer-wenig-hatt-hat-noch-weniger/

“Lebensschicksale” werden vermutlich auch bei der Zeitung Mannheimer Morgen beschrieben, ohne dass sie benannt werden:

“Denn immer mehr Beschäftige bekommen nur schlecht bezahlte Stellen”,

ist eine treffende Analyse und dürfte auf alle Zeitungsausträger und viele “freie Mitarbeiter” der Zeitung zutreffen.”

“Lebenschicksale” – schlecht, schlechter, noch schlechter bezahlt gilt vor allem für “freie Mitarbeiter”. Von Zeitungen.

In den vergangenen Wochen haben ver.di und der Deutsche Journalistenverband zu Streiks aufgerufen – Zeitungsabonnenten haben das an den “dünnen” Ausgaben festgestellt.

Denn die deutschen Zeitungsverleger wollen nicht nur keine “Lohnanpassungen” vornehmen – nein, ganz im Gegenteil, sie wollen teils bis zu 25 Prozent weniger für Berufsanfänger zahlen. Sie sind aktiver Teil des Systems, dass Menschen Arbeit gibt, die trotz Beschäftigung “arm dran sind”.

Gleichzeitig wollen diese Verleger eine Leistungsschutzabgabe erstreiten, eine Art Lizenzgebühr, die alle Teile der Wirtschaft, der Verwaltung, insgesamt die gesamte Öffentlichkeit trifft: Sobald jemand eine “Zeitung” zitiert, soll Geld fließen. An die Verleger. Das ist zwar sehr vereinfacht dargestellt, aber im Prinzip das, was sich die Verleger wünschen. Dieser “Leistungsschutz” kommt aber niemals bei den “Urhebern” an, also den Schreibern, sondern bei den “Verbreitern”, also den Verlegern.

Die allermeisten Lokalzeitungen zahlen Zeilenhonorare, die jenseits von “Gut und Böse” sind, wenn man das Geld auf “Mindestlohn pro Stunde” umrechnet. Wer auf sechs Euro pro Stunde kommt, kann sich glücklich schätzen. Fotografen sollen beim MM beispielsweise für Fotos für die Online-Galerien genau nichts erhalten. Das ist eine “Service-Leistung”, die erwartet wird. Wer der nicht nachkommt, muss damit rechnen, dass “bezahlte Jobs” weniger werden.

Große Teile der Zeitung sind mittlerweile “Discount-Ware”. Irgendwo hergestellt und massenhaft verbreitet – die Leserinnen und Leser können diese “Nachrichten” umsonst und zuhauf überall im Internet finden. Selbst scheinbar “exklusive” Themen sind nichts weiter als “zugeschickt” verbreitete Informationen von Ämtern, Vereinen oder Firmen.

Trotzdem gibt es immer noch genug gutgläubige “Abonennten”, die für “Exklusivität” zwanzig bis dreißig Euro pro Monat zahlen. Wer sich “kundig” macht, stellt den Preis in Frage.

Zeitung heute? Sowas wie ein “Ein-Euro-Shop”.

Kein Wunder, dass immer mehr Abonnenten kündigen – “Qualitätsjournalismus” wird schon lange nicht mehr geboten.

Stopp. Der Kommentar von Wolfgang Mulke ist guter Qualitätsjournalismus. Er benennt Fehlentwicklungen. Prangert an.

Leider fehlt es an der Transparenz in der eigenen Zeitung, was man Herrn Mulke nicht vorwerfen kann. Soll er etwa thematisieren, wie es um die “Niedriglohnpolitik” des MM bestellt ist? Und sich Ärger einhandeln und nicht mehr “gebucht” werden? Auch Herr Mulke muss sein Geschäft machen.

Ich selbst war auch mal “freier Mitarbeiter” des Mannheimer Morgen. Von 1991-1994. Damals habe ich für 55 Pfenning “die Zeile” geschrieben. In einem Monat habe ich mal rund 1.400 Mark “verdient”. Im “Schnitt” bedeutete das pro Tag ein bis zwei “Artikel”. Rund eine Stunde hin und zurück zum Termin. Ein bis drei Stunden vor Ort. Eine Stunde Vorbereitung. Ein Stunde Schreiben. Oder vielleicht  mehr. Zwei, drei, vier Stunden, Gespräche, Telefonate, Treffen – wenn mir das “Thema” wichtig war.

Und die “Themen” waren wichtig – zumindest mir. Und den Menschen, die “betroffen” waren.

Einige Texte waren nur 40-Zeiler. Einige länger, vielleicht 120-Zeiler (drei bis vier Spalten-Texte). Mit echter “Recherche”, viel Aufwand, stundenlangen Gesprächen. Terminen. Die Arbeit war sehr aufwändig, hat aber “Spaß” gemacht.

Wenn es “gut” lief, waren das also vier Stunden für 25 Mark oder rund sechs Mark die Stunde. Wenn es schlecht lief, waren es sechs oder mehr Stunden. Also nur vier Mark die Stunde. Das war 1994.

“Berechenbare Information?” – Klar, auf dem Niveau von 55 Pfenning. Pro Zeile.

Oft haute die “Rechnung” auch nicht hin. Dann war es “Berufsethos”. Ruhm und Ehre. Wichtiger als Geld.

Wenn man das “System” kapiert oder “im Stoff stand”, konnte man die “Stunde Vorbereitung streichen” und wenn man clever war, “hin und zurück” mit möglichst vielen Terminen verbinden – was meistens Wochend- und Abendtermine beinhaltete.

Und wenn man “noch besser” verstanden hatte, “dichtete” man irgendwelchen Blödsinn, Hauptsache, alle waren zufrieden, es war ein tolles Ereignis, es war schön und nochmal, alle waren zufrieden. Um der “Erwartung” der Redaktionsleitung zu genügen, aber auch, um wenigstens ein bisschen anständig zu verdienen, schreibt man dann halt solchen Mist.

Die Verlage haben in dieser Zeit zweistellige Umsatzrenditen geschrieben.

Am 20. Juli 2011 lese ich im Mannheimer Morgen einen Kommentar über die “unselige Schere”. Der Kommentar trifft den Punkt. Er ist kritisch und korrekt. Er beschreibt Lebensschicksale. Der Journalist Wolfgang Mulke hat einen korrekten Job gemacht.

Gibt es eigentlich keine Journalisten beim MM, die genauso hätten schreiben können? Das ist meine Frage. Wieso ist die Redaktion nicht in der Lage, das Thema zu berichten und zu lokalisieren?

Schupsen die “Redakteure” nur noch Bratwurstfeste und gute Stimmungen oder haben sie noch irgendeinen Funken Ehrgeiz in sich, wirklich gute Journalisten zu sein?

Eine der härtesten “Branchen” in Sachen “Mindestlöhne” ist der Journalismus.

Oder ist es die Schockstarre, dass sie Teil des Systems sind und niemals ehrlich über Mindestlöhne, Ausbeutung und unhaltbare Zustände über andere berichten können, ohne sich selbst zu meinen?

Mir tun die “Kollegen” wirklich leid, aber ich habe kein Mitleid mit ihnen.

Ich kann jeden verstehen, der seinen “Vorteil” retten will, aber ich verachte auch jeden, der sich dabei noch “Journalist” nennt und so tut, als sei er im Auftrag der “Öffentlichkeit” unterwegs.

Der MM ist Teil dieser Ausbeuter-Wirtschaft, die Menschen “Arbeit gibt, mit der sie arm dran sind”. Das muss man sagen. Das muss man aufschreiben.

Aber das wird man niemals in dieser Zeitung lesen.

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