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Dienstag, 05. November 2013

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Kommentar: Der Gemeinderat wird – egal wie – zum Thema Breitwiesen falsch entscheiden


Guten Tag!

Weinheim, 19. Oktober 2011 (red) Wenn heute der Gemeinderat zum Thema “Breitwiesen” eine Entscheidung für eine Veränderung des Flächennutzungsplans trifft oder eine dagegen, ist jede Entscheidung falsch. So falsch wie das künstlich im Vorfeld erzeugte Dilemma: Entwicklung gegen Natur. Gesunder Menschenverstand und Bürgerbeteiligung könnten einen Ausweg zeigen – doch die Hoffnung darauf darf als utopisch gelten.

Von Hardy Prothmann

Ich nehme die Entscheidung klar vorweg: Nach unseren Kenntnisstand wird der Gemeinderat die Verschiebung der Entwicklungsfläche vom Gewann “Hammelsbrunnen” zum Gewann “Breitwiesen” heute beschließen. Damit wird die Mehrheit des Gemeinderats die 8. Änderung eines Flächennutzungsplans abnicken.

Die erste Frage, die aufkommt und auch vom Landwirt Fritz Pfrang gestellt worden ist: Welche Gültigkeit hat eigentlich so ein Flächennutzungsplan, wenn man ihn ständig neu beschließen kann? Die Antwort ist einfach: Keine. Stimmt nicht ganz – eher so: Keine, die man nicht neu definieren kann.

Der Flächennutzungsplan ist eine Farce – klopft ein Unternehmen an und signalisiert Arbeitsplätze und Gewerbesteuer, die zwei großen Zauberwort-Mantras der Kommunalpolitik, ändert sich alles ganz schnell, was vorher ganz anders war. Die jeweiligen Bürgermeister sehen “Notwendigkeiten”, denen “muss man sich stellen”, selbstverständlich “alternativlos” und so weiter.

Hier werden Dilemmata künstlich erzeugt. Hoffnungen und Ängste beschworen. Dazwischen gibt es nichts. Keinen Ausweg, keine Alternative. Nur entweder-oder. Nur Fortschritt oder Stillstand.

Was die Bürgerinnen und Bürger davon halten? Die werden nicht gefragt. Man hat ja schließlich gewählte Volksvertreter. Die sind zwar vollkommen überfordert, aber sie sollen entscheiden. Also: Bist Du für Fortschritt oder Stillstand? Entscheide Dich. Jetzt! Es gibt keine Alternative.

So laufen viele Entscheidungen in den Kommunen ab und auch das ist ein Farce. Weil die Wähler vor der Wahl nicht wissen, was hinterher als “Plan” durchgezogen wird, welche Interessen bedient werden. Und weil selbst unabhängige Gemeinderäte meist vor vollendete Tatsachen gestellt werden – ohne Zeit, sich zumindest ausreichend einzuarbeiten.

Dem Oberbürgermeister Heiner Bernhard habe ich anlässlich der Unterschriftenübergabe empfohlen, tatsächlich fortschrittlich zu agieren. Folgt er meinem Vorschlag, kostet ihn das kaum Geld und nur ein wenig Mühe.

Vorbemerkung
Klar ist, dass die geplante Umwidmung und die Ansiedlung eines Logistikbetriebs von Amazon (der Investor wurde uns gegenüber bestätigt) viele Gegner hat. Klar ist auch, dass sich die Verwaltung von der Ansiedlung viel verspricht.

Unklar ist, ob die Zweifel der Gegner wirklich begründet ist. Nur in einer Sache nicht: Das Ackerland wird unwiederbringlich verloren sein. Das steht fest.

Unklar ist aber auch, ob eine solche Ansiedlung tatsächlich ein “Gewinn” für die “Zukunftsfähigkeit” Weinheims ist. Braucht man wirklich die Arbeitsplätze, die vermeintlich im Niedriglohnsektor angesiedelt sind? Fließt wirklich Gewerbesteuer?

Es gibt noch zahlreiche andere Fragen, die noch vollkommen offen sind und geklärt werden müssen.

Und es gibt einen erkennbaren Widerstand in der Bevölkerung: 2.000 Unterschriften gegen die Planung sind eine Ansage, die man nicht einfach ignorieren kann.

Im Land sind Grüne und SPD angetreten, eine Politik auf Augenhöhe mit den Bürgern zu vertreten.

OB Heiner Bernhard ist kein Regierungsmitglied, aber verantwortlich für die Entwicklung Weinheims. Dazu gehört mehr, als Gewerbeflächen auszuweisen. Dazu gehört auch, eine neue Politik zu beschreiten, die Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger mit einzubeziehen.

Dazu gehört auch, im Vorfeld klug und umsichtig zu agieren und nicht einfach nur Fakten zu schaffen.

Vorschlag
In Bayern werden die meisten großen Bauvorhaben mittlerweile fast standardmäßig per Bürgerbegehren oder Bürgerentscheid entschieden. Und das trägt sehr zur Entspannung bei statt zur Konfrontation. Ist die Bürgerschaft für oder gegen ein Projekt, ist die Linie klar.

Im Fall der Zustimmung ist alles Handeln einfacher – im Fall der Ablehnung erspart man sich jede Menge Ärger.

In Heddesheim haben Bürgermeister Michael Kessler und die knappe Mehrheit des Gemeinderats Unfrieden und Spaltung über den Ort gebracht. Die geplante “Pfenning”-Ansiedlung hat das Gemeinwesen im Ort vergiftet. War das es das wert?

Oberbürgermeister Heiner Bernhard wäre sehr gut beraten, wenn er den Tagungsordnungspunkt 5 von der Liste streicht und alternativ vorschlägt, dass man den Gegnern der geplanten Veränderung Raum und Zeit gibt, sich zu organisieren und ihre Argumente vorzutragen.

Erreichen die Gegner ein Bürgerbegehren und wäre das Ergebnis eindeutig gegen ein Gewerbegebiet Breitwiesen, wäre die Sache entschieden. Erreichen sie es nicht, kann der Gemeinderat auf Basis aller Gegenargumente immer noch dafür entscheiden und wäre um die Gegenargumente, deren Berücksichtigung und deren Lösung reicher. Somit hätten die Befürworter einen Gewinn – aber auch die Gegner.

Die Realität

Oberbürgermeister Heiner Bernhard wird diesen Weg nicht beschreiten, denn vermutlich fehlt ihm die Einsicht in diese Form von aktiver Bürgerbeteiligung. Er wird das Dilemma zwischen Fortschritt und Stillstand skizzieren und eine Entscheidung fordern.

In vollem Bewusstsein, dass es zwar Widerstand gibt, dieser aber bis zur nächsten Wahl kaum Möglichkeiten hat, Einfluss zu nehmen. Und wenn dann gewählt wird, muss man sich zwischen Teufel und Beelzebub entscheiden. Und damit bleibt alles beim alten.

Die Hoffnung

Wenn der Oberbürgermeister aber wirklich in sich geht und sich die katastrophal niedrige Wahlbeteiligung bei seiner Wiederwahl ohne ernstzunehmenden Gegenkandidaten vor Augen führt und seine politische Verantwortung fühlt, kann er nicht anders, als neue Wege zu beschreiten und die Menschen tatsächlich damit überraschen, dass er nicht Fakten schafft, sondern Raum für Beteiligung gibt.

Er würde enorm viel gewinnen, denn er wäre einer von wenigen Bürgermeistern, die soviel Vertrauen und Verantwortung an die Bürgerschaft geben.

Sollte diese die Möglichkeit nutzen, wäre das ein Gewinn für die Verwaltung und für die Bürgerinnen und Bürger.

Sollte diese die Möglichkeit nicht nutzen, wäre es immerhin noch ein Gewinn für den Bürgermeister. Er könnte mit Fug und Recht sagen, dass er die Chance gegeben hat, diese aber nicht genutzt wurde. Also muss er allein mit dem Gemeinderat entscheiden.

Die Tatsache

Was für den Bürgermeister gilt, gilt auch für den Gemeinderat. Auch die Fraktionen haben die Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen und damit den Willen zu echter, direkter Demokratie in Verbindung mit der notwendigen repräsentativen Demokratie zu zeigen.

Auch hier könnten beide Seiten gewinnen. Tatsächlich muss man davon ausgehen, dass dies nicht der Fall sein wird. Die Umwidmung wird beschlossen werden. Zukunftschancen werden beschworen, Gegenargumente werden vorgebracht. Und bei der nächsten Wahl werden noch weniger Wähler zur Urne gehen. Und die Legitimation der Gremien wird immer fraglicher.

Wenn das so gewollt ist, dann wird es so kommen.

Wenn Weinheim ein Vorbild sein will, könnte es auch anders laufen. Wohlgemerkt: “könnte”.

Man würde rund drei bis vier Monate verlieren. Soviel Zeit bleibt nie bei künstlich erzeugten Dilemmata.

Deswegen wird der Gemeinderat falsch entscheiden – egal, ob dafür oder dagegen.

In den Köpfen regiert das Dilemma – alternatives Denken ist nicht im Ansatz entwickelt.

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  • Thomas Ott

    Sie enthalten Ihren Lesern bedauerlicherweise wichtige Informationen vor. Als Beispiel seien die Entscheidung des ATU von 2007 zum Flächentausch Hammelsbrunnen/Breitwiesen (nur 1 Gegenstimme) oder die unmittelbar bevorstehende Offenlegung des Regionalplanes (in dem die FNP-Änderung aufgenommen werden muss) genannt.

    Wertvolle Ackerflächen gehen in jedem Fall “verloren”, sei es am Hammelsbrunnen oder in den Breitwiesen. Wahr ist aber, dass es den meisten Gegnern des Flächentausches (insbesondere der GAL) um die Verhinderung jedweder gewerblichen Ansiedlung geht. Leider scheinen Sie auch nicht um die Diskussion um die Aufnahme der Breitwiesen in den ursprünglichen FNP zu wissen. Das ist entschuldbar, da sie noch nicht so lange in Weinheim aktiv sind, aber notwendig um den größeren Zusammenhang des jetzigen Vorhabens zu verstehen.

    Widersprechen möchte ich auch in Bezug auf das Argument, die Bürger wüssten bei der Gemeinderatswahl nicht, wie die gewählten Repräsentanten später bei konkreten Sachfragen entscheiden. Zumindest im Fall der CDU enthält das Kommunalwahlprogramm alle notwendigen Informationen.

    Im Vorfeld der heutigen Entscheidung haben wir viele Angebote zur Diskussion und Beteiligung gemacht, etwa auf unserem Videokanal (www.zweiburgenstadt.tv).

    Amazon ist ein Popanz der Flächentauschgegner. Das Unternehmen sucht in ganz Südwestdeutschland nach einer Fläche und wird nicht 4-5 Jahre auf die Entwicklung der Breitwiesen warten. Solange dauert es im schnellstmöglichen Fall bis ein rechtskräftiger Bebauungsplan vorliegt und mit der Erschliessung begonnen werden könnte.

    Disclaimer: Ich bin stellvertretender Vorsitzender (Ortsverband) und Pressesprecher (Stadtverband) der CDU Weinheim, schreibe aber hier als normaler Leser.

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